Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
tun.
Wir sind im Esszimmer. Von der Decke hängt ein Kronleuchter wie eine exotische Blume und die Fenster säumen schwere flieÃende Vorhänge. Tara und ich gehen um den Esstisch herum â meine Mutter würde vor lauter Aufregung einen Herzinfarkt kriegen, da passen mindestens zwölf Leute dran â und weiter in eine Art Durchgangszimmer. Dort ist die Bar. Hinter dem Durchgangszimmer befindet sich ein weiterer dunkler Raum: Nach den Sofas und Bücherregalen zu schlieÃen, die ich gerade so erkennen kann, ist es wohl die Bibliothek oder das Wohnzimmer. Wie viele Zimmer es hier wohl gibt? Das Haus scheint sich unendlich auszudehnen. In diesem Raum ist es sogar noch dunkler, aber Courtney und Bethany kramen in einigen Schränken.
»Hier stehen bestimmt fünfzig Flaschen«, sagt Courtney. Es ist zu finster, um die Etiketten erkennen zu können, deshalb schraubt sie jede Flasche auf und riecht daran, um den Inhalt zu erraten. »Das hier ist Rum, glaub ich.«
»Schräges Haus, was?«, sagt Bethany.
»Das stört mich nicht«, erwidere ich schnell. Ich weià gar nicht genau, warum ich das Gefühl habe, mich verteidigen zu müssen. Tagsüber ist es bestimmt schön hier: ein lichtdurchflutetes Zimmer hinter dem anderen. Ich wette, in Kents Haus ist es immer still oder es läuft dauernd klassische Musik oder so was.
Neben mir höre ich Glas zerbrechen und etwas Nasses spritzt auf mein Bein. Courtney flüstert: »Was machst du denn da?«
»Das war ich nicht«, erwidere ich, als Tara sagt: »War keine Absicht.«
»War das eine Vase?«
»Iih. Mein Schuh hat was abgekriegt.«
»Kommt, wir nehmen die Flaschen einfach mit und verschwinden.«
Als wir wieder in die Küche schleichen, schreit RJ Ravner gerade: »In Deckung!« Matt Dorfman nimmt sich einen Becher Bier und trinkt ihn auf ex. Alle lachen und Abby McGail klatscht, als er den Becher geleert hat. Jemand dreht die Musik lauter. Jay-Z ertönt und alle singen mit. Iâm a hustler, baby, I just want you to know â¦
Ich höre ein kreischendes Lachen. Dann eine Stimme aus dem Flur: »Oh, Mann, sieht so aus, als wären wir genau rechtzeitig gekommen.«
Mein Herz schlägt schneller. Lindsay ist da.
ES GIBT DINGE, DIE MAN FÃR SICH BEHÃLT
Lindsays gröÃtes Geheimnis: Als sie in der Elften von einem Besuch bei ihrem Stiefbruder an der New York University zurückkam, war sie tagelang unausstehlich â giftete alle an, machte sich über Ally lustig, weil sie so komische Essgewohnheiten hat, machte sich über Elody lustig, weil sie so viel trinkt und so leicht rumzukriegen ist, machte sich über mich lustig, weil ich immer alles als Letzte mache, sei es das Aufgreifen von neuen Trends oder Petting (was ich bis gegen Ende der Zehnten nicht gemacht habe). Elody, Ally und ich wussten, dass in New York irgendetwas vorgefallen sein musste, aber als wir Lindsay danach fragten, wollte sie es uns nicht sagen und wir haben sie nicht gedrängt. Lindsay drängt man nicht. Das macht alles nur noch schlimmer.
Dann saÃen wir eines Abends gegen Ende des Schuljahres im Rosalitaâs , diesem miesen mexikanischen Restaurant in der Nachbarstadt, wo sie nicht nach dem Ausweis fragen, tranken Margaritas und warteten auf das Essen. Lindsay aà kaum was â schon seit sie aus New York zurück war. Sie rührte die kostenlosen Tortillachips nicht an, weil sie angeblich keinen Hunger hatte. Stattdessen fuhr sie mit dem Finger immer wieder über den Salzrand an ihrem Margaritaglas und aà die Salzkörner eins nach dem anderen.
Ich weià nicht mehr, worüber wir gerade redeten, aber plötzlich platzte Lindsay heraus: »Ich hab mit jemand geschlafen.« Einfach so. Wir starrten sie alle schweigend an und sie beugte sich vor und erzählte uns atemlos, dass sie betrunken gewesen war und dass der Typ â der Unaussprechliche â ihr angeboten hatte, sie zum Wohnheim ihres Stiefbruders zu begleiten, weil der noch länger auf der Party bleiben wollte. Sie hatten auf dem Bett ihres Stiefbruders miteinander geschlafen, während Lindsay zwischendurch immer wieder abgeschaltet hatte, und der Typ â der Unaussprechliche â war weg, noch bevor Lindsays Bruder von der Party zurückkam.
»Es hat höchstens drei Minuten gedauert«, sagte sie schlieÃlich und ich wusste, dass sie die
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