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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Angelegenheit bereits unter den »Dingen, über die wir nicht sprechen werden«, ablegte. Sie verstaute sie in einer Ecke irgendwo ganz hinten in ihrem Kopf und erfand andere Geschichten, womit sie sie überdeckte, bessere Geschichten: Ich war in New York und es war genial dort. Ich ziehe da ganz bestimmt mal hin. Ich hab einen Typen geküsst und er wollte mit mir nach Hause kommen, aber ich hab Nein gesagt.
    Direkt danach kam unser Essen. Lindsay war extrem erleichtert, nachdem sie uns das erzählt hatte – obwohl sie uns unter Androhung der Todesstrafe schwören ließ, es niemandem weiterzuerzählen –, undsie hatte sofort viel bessere Laune. Sie ließ den Salat zurückgehen, den sie bestellt hatte (»Als würde ich dieses Grünfutter fressen«), und bestellte Quesadillas mit einer Käse-Champignon-Füllung, mit Schweinefleisch gefüllte Burritos mit extra saurer Sahne und Guacamole, eine Portion Chimichangas für alle und noch eine Runde Margaritas. Es war, als hätte man uns ein Gewicht von den Schultern genommen, und es war unser bestes Abendessen seit Jahren. Wir stopften uns alle voll, sogar Ally, tranken Margarita nach Margarita in den verschiedensten Geschmacksrichtungen – Mango, Himbeer, Orange – und lachten so laut, dass die Leute an mindestens einem Tisch darum baten, umgesetzt zu werden. Ich weiß nicht mehr, worüber wir überhaupt geredet haben, aber irgendwann machte Ally ein Foto von Elody mit einer Weizenmehltortilla auf dem Kopf und einer Flasche Chilisoße in der Hand. In einer Ecke des Bildes kann man ein Drittel von Lindsays Gesicht im Profil sehen. Sie hat sich laut lachend vorgebeugt, ihr Gesicht ist knallrot. Mit einer Hand hält sie sich den Bauch.
    Nach dem Essen zückte Lindsay die Kreditkarte ihrer Mutter, um alles zu bezahlen. Sie soll sie eigentlich nur im Notfall benutzen, aber sie beugte sich über den Tisch und brachte uns dazu, uns alle an den Händen zu fassen, als würden wir beten. »Meine lieben Freundinnen, das hier war eindeutig ein Notfall«, sagte sie und wir lachten, weil sie wie immer total melodramatisch war. Wir hatten vor, noch zu einer Party ins Arboretum zu gehen, das war schon Tradition am ersten warmen Wochenende des Jahres. Die ganze Nacht lag vor uns. Alle hatten gute Laune. Lindsay war wieder normal.
    Dann ging sie aufs Klo, um ihr Make-up zu richten, und fünf Sekunden nachdem sie vom Tisch aufgestanden war, machten sich die ganzen Margaritas und das Gelächter bemerkbar: Ich musste noch nie so dringend pinkeln. Noch immer lachend rannte ich zum Klo, während Elody und Ally mir angeknabberte Tortillachips und zerknüllte Servietten hinterherwarfen und schrien: »Schick uns ’ne Ansichtskarte von den Niagarafällen«, und: »In dunklen Winkeln lässt sich’s gut pinkeln!«, woraufhin die Gäste an einem weiteren Tisch umgesetzt werden wollten.
    Es gab nur ein Klo und ich lehnte mich gegen die Tür, rüttelte an der Türklinke und rief Lindsay zu, sie solle mich reinlassen. Vermutlich hatte sie es beim Reinkommen eilig gehabt, denn die Tür war nicht richtig abgeschlossen und ging auf, als ich mich dagegenlehnte. Ich stolperte immer noch lachend ins Klo und rechnete damit, Lindsay mit geschürzten Lippen vor dem Spiegel stehen und zwei Schichten MAC-Lipgloss auftragen zu sehen. Stattdessen kniete sie vor der Kloschüssel und die Reste der Quesadillas und der mit Schweinefleisch gefüllten Burritos schwammen auf der Wasseroberfläche. Sie zog ab, aber nicht schnell genug. Ich sah zwei ganze unzerkaute Tomatenstücke, die die Kloschüssel hinuntergespült wurden.
    Das Lachen blieb mir augenblicklich im Halse stecken. »Was machst du da?«, fragte ich, obwohl es mehr als offensichtlich war.
    Â»Mach die Tür zu«, zischte sie.
    Ich schloss sie schnell, wodurch die Geräusche aus dem Restaurant weggesaugt wurden und Stille zurückließen.
    Lindsay erhob sich langsam. »Und?«, fragte sie und sah mich an, als würde sie sich bereits die Argumente zurechtlegen – als erwartete sie, dass ich ihr irgendetwas vorwerfen würde.
    Â»Ich muss mal pinkeln«, sagte ich. Es ist schwach, ich weiß, aber mir fiel nichts Besseres ein. Ein winziges Stück Essen hing an einer ihrer Haarsträhnen und bei seinem Anblick wäre ich am liebsten in Tränen ausgebrochen. Das hier war doch Lindsay Edgecombe:

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