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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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ein ganzes langes Leben vor sich hatte, und der Fünfundsechzigjährige, der spürte, daß es zu Ende ging.
    Unsere Tochter hatte nicht die ganze Wahrheit gesagt, als sie beim Begräbnis Rabbi Schaefer erklärte, ich hätte nie ein Get, einen Scheidebrief, verlangt. Sie wußte, wieviel mir in diesem Augenblick der symbolische Riß nah über meinem Herzen
bedeutete. Jerome und ich hatten nur eine standesamtliche Hochzeit und redeten zehn Jahre lang von der richtigen, der religiösen Trauung, planten sie bis ins Detail und stritten um Einzelheiten, wer eingeladen werden sollte, die Trauzeugen, der Rabbiner, das Datum, das Essen, bis es endgültig zu spät war. Aber in meiner unverbesserlichen Phantasie träume ich noch immer davon, unter dem Traubaldachin dreimal um ihn herumzugehen, im Spätsommer, in einem hellen Kleid, nicht weiß, aber hell genug für einen Schleier, absurd und rührend, unsere erwachsene Tochter als Trauzeugin ihrer Eltern, und wir nach fünfzehn Jahren endlich bereit, ohne Vorbehalt Ja zu sagen, aus demselben Glas Wein zu trinken und zusammen nach Hause zu fahren, ohne bereits wieder an die nächste Trennung zu denken, und der Tod nicht einmal eine ferne Möglichkeit. Wir haben es nie verstanden, unser Leben zu inszenieren und mit unseren Dokumenten in Einklang zu bringen, wohl weil uns Formalitäten wenig bedeuteten. Zu allem brauchten wir mehrere Anläufe, bis es uns gelang. In der Town Hall, in der wir nicht länger als ein paar Minuten vor dem Friedensrichter gestanden waren und auf eine Frage Ja sagten, yes, I will, von der ich nur den Bruchteil eines Satzes verstand - in guten und in schlechten Zeiten -, in derselben Town Hall sagten wir zwanzig Jahre später in einem ebenso schnellen Verfahren vor einem anderen Friedensrichter, yes, I do, auf die Frage, ob wir das Scheidungsurteil verstünden. Und jedesmal fuhren wir anschließend mit unseren Zeugen, unseren Anwälten, die auch unsere gemeinsamen Freunde waren, zum Essen ans Meer und danach zusammen nach Hause, als hätte sich nichts geändert. Wo hätte ich sonst hinfahren sollen, ich hatte nie ein anderes Zuhause gehabt, nicht in diesem Land.

    In unserem Leben gab es andere Höhepunkte, die niemand feierte und die fast unbemerkt vorübergingen. Die Wanderung um den Walden Pond, am Tag, an dem ich erfahren hatte, daß ich schwanger war, bei der wir einander auf alles aufmerksam machten, woran wir sonst achtlos vorbeigegangen wären, als hätten wir ein zusätzliches Paar Augen, für das alles neu und ein Wunder war. Schau, wie weit die Bäume ihre Wurzeln und Zweige ins Wasser strecken, riefen wir, und dort, die Enten im Schilf, die tanzenden Mücken über den Tümpeln, die Fische unter den Ufersteinen, die herbstliche Kühle im Schatten der Bäume und ein blasser Tagmond über dem See. Er ging nicht wie üblich drei Schritte hinter mir, um sich in der Illusion seiner Freiheit zu gefallen, und ich verdächtigte ihn nicht, insgeheim enttäuscht zu sein, daß er mit mir nicht das große Los gezogen hätte. Auf einem Foto, das Jerome neun Monate später aufnahm, stehe ich auf einem schmalen Pfad nah an der Uferböschung des Walden Pond, lachend mit triumphierend herausgerecktem Bauch, zwei Tage vor dem errechneten Geburtstermin, eine junge Frau, die sich nicht vorstellen kann, daß in zwei Tagen ihr ganzes bisheriges Leben zu Ende sein wird.
    Aber wenn ich den Beginn unsere Ehe mit einem Datum versehen müßte, dann wäre es die frühe Dämmerung eines Dezemberabends, als ich aus dem weitläufigen Gemeindehaus der Kongregation Beth Israel heraustrat mit von der Mikwe noch feuchten Haaren und einem neuen Namen, und Jerome im Auto zwischen den Platanen auf mich wartete. Wenn ich Glück benennen müßte, dann als das Staunen darüber, wie klar und eindeutig alles sein konnte. So fühlt sich eine, dachte ich, die nach langer Zeit des Suchens und Wartens sieht, daß alle Gleichungen aufgegangen sind, und weiß, so soll es sein, es kann nur so sein, alles andere wäre falsch. Welchen Grund
für meinen Wunsch, Jüdin zu werden, ich den drei Rabbinern, die mich prüften, genannt hatte, weiß ich nicht mehr, für mich war es der bedingungslose Eintritt in das Leben des geliebten Menschen, in seine Welt, mit allem, was ihn ausmachte und was ihn geprägt hatte. Ich trat von nirgendwoher über, ich war meiner Neigung gefolgt, und ich trat in etwas Vertrautes ein, es war kein Neubeginn und bedurfte keiner Gewöhnung, ich war angekommen. Das Leben unter

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