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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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uns an, sieh, was aus uns geworden ist, da stehen wir, hilf uns, auch wenn wir wissen, daß der Körper zu unseren Füßen wie Fleisch in der Sommerhitze verrottet und stinkt, aber wir reden mit einem, der mit diesem Kadaver nichts zu tun hat. Instinktiv ziehen wir die Köpfe ein, gebückt und gebrochen stehen wir da, und unsere Sehnsucht hat sich in Zorn und Aufbegehren verkehrt. Nach einer Weile wendet Ilana sich ungewohnt schroff, fast heftig zu mir: Laß mich eine Weile hier allein sein, fordert sie mich auf, und ich gehe, ungetröstet und verlassener als zuvor. Ich setze mich auf die Beifahrerseite, weil ich vermute, daß sie fahren will. Als sie einsteigt, sagt sie, so hat Dad es auch immer gemacht. Wenn er mich vom Zug abgeholt hat, wartete er schon auf dem Beifahrersitz.
    So haben sie einander ihre Zuneigung gezeigt, in kleinen, zärtlichen Gesten.

    Als ich nach Hause komme, bin ich allein, wie ich nie zuvor allein war. Es gibt keine Metapher für dieses Alleinsein, es sei denn die unvorstellbare Verneinung von allem, was ist. Der
Anrufbeantworter blinkt, aber niemand hat eine Botschaft hinterlassen. When you hear the tone, please leave a message and I’ll get back to you as soon as I can. Ich höre das Band immer von neuem ab, um seine Stimme zu hören, seine leicht gepreßte Stimme, mit einem Unterton von Erwartung und Dringlichkeit.
    Von der Zufahrt aus sah ich die Katzen auf dem Fensterbrett sitzen und auf den blauen Toyota mit dem eingedellten Kotflügel warten, den jetzt ich fahre. Die Delle ist noch nicht alt, Jerome hatte mich vor einem halben Jahr im Schneetreiben ganz nah an die Eingangstür einer Bäckerei gefahren und einen Hydranten gerammt. Allmählich, nach einer Woche des unbeirrbaren Wartens haben die Katzen begonnen, um die Lebenden zu werben, wälzen sich vor mir auf dem Boden, bieten mir ihren weichen Bauch zum Kraulen, streichen um meine Beine und schnurren. Nach dem Füttern stehen sie mit gespitzten Ohren vor der Verandatür, für ihr tägliches Ritual, zuerst fressen, dann ein Rundgang durch die Nachbargärten. Ich lasse sie laufen, man erzählt sich, daß Tiere von Verstorbenen auf und davon gehen und nie wiederkommen. Aber seine beiden Katzen, ein geschecktes kastriertes Weibchen und ein muskulöser roter Kater, kommen immer wieder und beginnen jedesmal von neuem in allen Zimmern nach ihm zu suchen, bevor sie sich auf ihrem Wachposten am Eßzimmerfenster niederlassen.
    Es ist halb acht, und das Licht eines langen Frühsommerabends fällt staubig auf die mattgelben Bodenfliesen der Küche. Es ist die Zeit, zu der das Abendessen fertig wurde und Jerome in den Keller hinunterstieg, um eine Flasche Wein zu holen. Zwei fette, schillernde Fliegen prallen gegen das Fenstergitter und verstärken mit ihrem Summen die Stille. Jetzt
ist die Küche aufgeräumt, nur sein Glas habe ich vor dem Abwaschen gerettet, ein bauchiges Rotweinglas, ein wenig größer als die anderen, mit einem schmalen Fettrand von seinem Lippenabdruck. Ich widerstehe der Versuchung, meine Lippen daraufzulegen. Im Stehen esse ich Käse aus der Plastikfolie, den noch Jerome gekauft hat, ich fürchte mich davor, am Tisch seinem leeren Stuhl gegenüberzusitzen, und ich fürchte mich vor dem Augenblick, wenn die Lebensmittel, die durch seine Hand gegangen sind, aufgebraucht oder zum Essen zu alt sein werden. Als könnte ich ein wenig von seiner Gegenwart festhalten, indem ich zumindest das Verschwinden der Dinge, die er berührt hat, hinauszögere. Es ist wie die Angst vor der Nacht, dem Verschwinden der Bäume über der Uferböschung, das Vergehen der Zeit hat eine feierliche, unerbittliche Endgültigkeit. Und ich bin am Ufer angeschwemmtes Treibgut, farblos, morsch, ausgelaugt und unfähig, das Leben wiederaufzunehmen. Ein Rieseln geht durch den Körper, das Rückgrat hinauf und hinunter, eine Schwäche wie eine Welle, die alles fortspült, in das abnehmende Licht des Abends, den Charles River hinunter, in die Nacht, ins Meer.
    Jetzt, wo die Menschen fort sind, ist es Zeit, sich den Dingen zuzuwenden, die Orgie des Wegwerfens und Entäußerns fortzusetzen, Verzweiflungstat und Reinigungsritual in einem. Aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Ich betrachte die Gegenstände, so wie sie mir in die Hände fallen, als sähe ich sie zum ersten Mal, und gleichzeitig sind sie mit Erinnerungen behaftet, das Porzellan, Reste von einst vollständigem Tafelporzellan, die Sauciere, letztes Stück eines Rosenthal-Service seiner

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