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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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Abweichung war das Alter, und daß er sechs Jahre älter war als ich, machte ihn fast zu einem alten Mann. Was mich bezauberte war sein Charme, seine geistreiche Behendigkeit in den beiden Sprachen, zwischen denen er sich mühelos bewegte, und kleine, unbewußte Gesten, schalkhafte Bemerkungen und Fragen, die mir zeigten, daß er mich verstand, aber vor allem, wie synchron unsere Gedanken von Thema zu Thema sprangen, als hätten wir zu wenig Zeit und müßten über alles Wichtige gleichzeitig reden. Ich bewunderte seine Bildung, er kannte sich in europäischer Geschichte aus, in Musik und Literatur. Ich weiß nicht mehr, ob ich es in einer Zeitung gelesen oder im Radio gehört hatte, daß Kurt Schuschnigg gestorben war. Erinnerst du dich an Schuschnigg, fragte ich meinen Amerikaner und erwartete, daß er fragte, who? Natürlich, sagte er auf Deutsch: Ich weiche der Gewalt. Aber er sprach Gewalt so aus wie seine Großmutter, wenn sie rief Oj, gevalt!, und ich mußte lachen.
    Vom ersten Abend, als ich mich mit der Absicht bei Jerome einquartierte, mir Boston anzusehen, habe ich nur in Erinnerung behalten, daß er meiner spröden Abwehr entgegenhielt: Du hast nichts zu verlieren, schlimmstenfalls verabschieden wir uns morgen oder übermorgen, bestenfalls bleiben wir zusammen. Es war keine atemlose Leidenschaft zwischen uns, damals jedenfalls nicht, eher ein vorsichtiges Herantasten und Warten und das Erstaunen darüber, jemanden anzutreffen, der antwortete, genau so, wie ich es erhofft hatte. Zu dieser Zeit war Hingabe noch nicht Fordern und Gewähren, sondern ein
Zuhören mit Körper und Seele. Zum erstenmal versuchte ich nicht, meine Schwächen zu verbergen oder mich hervorzutun, alles an mir wurde dankbar und kritiklos angenommen. Von Anfang an war eine selbstverständliche Zusammengehörigkeit zwischen uns, als wäre alles Wichtige längst geklärt. Die Übereinstimmung trotz der Unterschiede in Herkunft und Prägung erstaunte uns immer wieder. So konnten wir einander ein wenig von unserer Lebensangst nehmen, weil wir sie am anderen wiedererkannten. An seiner Seite war das Leben tragisch, pathetisch und absurd, zum Totlachen und zum Schreien ungerecht, aber nie langweilig und nie sinnlos. Vielleicht waren wir uns zu ähnlich und sind einander zu nah gekommen, um das Abenteuer des Begehrens über die Zeit hinwegzuretten, es war zu wenig Fremdheit zwischen uns. Oder war ich, wie alle Verliebten, damals blind für die Unterschiede und hatte nur Augen für die Übereinstimmungen, daß wir die gleiche Musik und die gleichen Bücher liebten, daß wir Sport verabscheuten und eine verwandte Melancholie unsere Weltsicht färbte?
    An einem der Abende dieses Herbstes gingen wir mit ein paar seiner Freunde zum Essen aus. Jules war dabei, Prabodh mit einer blonden Frau, und ein paar Leute, die ich danach nie wiedersah. Ich habe keine Erinnerung an die Gespräche dieses Abends, ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, wer mit mir redete und was sie sagten, das Glück war wie ein Rauschen in meinen Ohren, es deckte alles andere zu.
    Eine Woche später, als Jerome ihn und Pamela zum Zug brachte, warnte Prabodh ihn vor mir: Sie bedeutet Ärger, sie ist zu unabhängig, sie wird immer auf ihre Eigenständigkeit pochen und dir das Leben schwermachen. Heirate sie nicht, riet er Jerome, das kann nicht gutgehen. Ich wußte nichts davon, aber ich spürte Prabodhs Mißtrauen. Weißt du, was das
Problem mit diesen jungen Frauen ist, soll er zu Jerome gesagt haben, sie wollen nicht mehr für einen Mann leben, sie wollen mit einem Mann leben. Nur sechs Jahre trennten Jerome und mich, aber wir gehörten verschiedenen Generationen an. Als ich durch Amerika trampte, Marijuana rauchte und Bob Dylan hörte, war er bereits Anwalt, der die Counter Culture mit Faszination aber aus der Distanz betrachtete und nie ganz verstand, was sie außer Drogen und sexueller Freizügigkeit noch anzubieten hatte.
    Er brauche keine Counter Culture, um sich für die Unterdrückten einzusetzen, sagte er, als ich versuchte, sie ihm zu erklären. Aber da ist noch mehr, die Freiheit, die Auflehnung gegen Autoritäten, insistierte ich. Vermutlich breitete ich das ganze ideologische Arsenal der Studentenbewegung zweier Kontinente vor ihm aus, aber er bestand darauf, das sei nichts Neues, altes Gedankengut, für das bereits sein Großvater in den Gewerkschaftskämpfen in New York auf den Barrikaden gestanden sei. Ich nahm ihn ins Kino mit, sah Zabriskie Point mit seinen

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