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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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Fotos alle Dämonen, die ich weggesperrt hatte, wieder auf, selbst das Vergessene wird lebendig. Nicht hinsehen, sage ich, es ist zu spät, sich zu entschuldigen oder zu vergeben. Wenn Freunde uns abrupt und ohne Erklärung verlassen, als wären sie gestorben, gehen die Mutmaßungen, was geschehen ist, noch eine Weile weiter, es könnte ja sein, daß sie zurückkommen, um die Beziehung wiederaufzunehmen oder sie endgültig zu beenden. Die Tatsache, daß sie am Leben sind, hält unseren einseitigen Dialog mit ihnen aufrecht. Man erinnert sich, wann das Zerwürfnis angefangen hat und fragt sich, was sie vertrieben haben könnte. Aber die Toten gehen anders fort und ich bleibe mit meinen unbeantworteten Fragen ohne Gegenüber und ohne Antwort sitzen. Niemand nimmt das Gewicht des Unannehmbaren mehr weg, indem er sagt, es tut mir leid, so war es nicht gemeint. Man muß es annehmen, nicht vorläufig,
bis man es versteht, sondern endgültig, für den Rest des Lebens.
    Einmal erzählte Jerome mir von einem Film, genau genommen war es nur eine Szene, er wußte weder den Titel des Films noch den Regisseur oder die Schauspieler. Zwei Menschen sind in einem Auto auf der Flucht, erzählte er. Eigentlich sei nur der Mann auf der Flucht. Sie steigen besser wieder aus, sagt er zu der Frau neben ihm, meine Bekanntschaft könnte Sie das Leben kosten. Und weißt du, was sie macht, fragte Jerome mit Tränen in den Augen, statt einer Antwort greift sie nach dem Sitzgurt und schnallt sich an. Ich schwieg, weil diese Szene in Wirklichkeit ein Vorwurf war. Das habe ich mir immer gewünscht, sagte er, daß eine Frau so bedingungslos bei mir bleibt, auf der ganzen Fahrt bis ans Ende.
    Der Richter Steve, dessen Nachnamen ich nicht weiß, sagte mir, Jerome sei stolz gewesen auf meine Selbständigkeit, auf das, was ich mir erarbeitet hatte, oft in zähem Kampf gegen seine Forderungen. Aber er nahm es mir immer ein wenig übel, daß ich etwas brauchte, das ganz allein mir gehörte und meine Handschrift trug und daß ich ihm aus diesem Grund nie den Platz in meinem Leben zugestehen konnte, den er sich wünschte. Wir redeten manchmal darüber, was Liebe eigentlich bedeutete. Sich selbst an zweite Stelle setzen, behauptete er kategorisch. Einander kennen und verzeihen, sagte ich. Die Frage nach der richtigen Art zu lieben war ein Streitobjekt zwischen uns, um das wir kämpften, stritten, uns versöhnten, jahrzehntelang, ohne eindeutigen Ausgang. Ich weiß noch immer nicht, nach welcher Art von Liebe er mit zunehmender Panik suchte, und ich verstehe nicht, wie Menschen einander so sehr verfehlen können, wenn sie doch alle Liebe, deren sie fähig sind, auf den anderen konzentrieren. Du wirst erst nach
meinem Tod wirklich wissen, was du an mir gehabt hast, sagte er manchmal. Wir wußten beide, daß derjenige von uns, der den anderen überlebte, sich bis ans Ende mit den Erinnerungen Schmerz zufügen würde, mit den guten ebenso wie mit den schlimmen. Oft schien es mir, als würden die schlimmen überwiegen. Jetzt, wo er tot ist, beginnt die Perspektive sich zu verschieben, ich erkenne deutlicher als zuvor, was wir einander angetan haben, aber ich sehe einen Mann und eine Frau, die gegeneinander wüteten, weil das Gemeinsame und das, was sie für sich retten wollten, in einem erbitterten Streit lagen. Und wenn ich diesen Kampf zur Seite schiebe, gelange ich zu dem anderen, das sie verband: daß sie einander so nahe waren, daß sie sich schweigend verständigen konnten und daß sie wußten, ein Leben ohne den anderen wäre unvollständig und auch unvorstellbar.
    Natürlich unterstützten wir einander, wir redeten über unsere Berufe, gaben einander Ratschläge, ich hörte mir seine Klientengeschichten an, seine Rivalitäten im Beruf, machte die Lösung seiner Probleme zu meiner Aufgabe, aber das war nicht genug. Wenn wir von einer gemeinsamen Zukunft sprachen, wiederholte er seine Forderung, daß ich jeden Tag des Jahres, ohne Unterbrechungen und ohne mich abzuwenden, mit ihm leben sollte, aber meist übergingen wir schweigend, was wir als die Untreue des anderen betrachteten.
    Natürlich fühle ich mich einsam, wenn ich allein bin, versicherte ich Jerome, aber gerade diese Einsamkeit brauche ich, um mich frei zu fühlen und arbeiten zu können, und wenn ich zurückkomme, ist es, als träte ich aus einer kalten Winterlandschaft in ein Haus.
    Gut, daß unsere Katzen nicht reden können, die würden mir das gleiche sagen: Wenn wir aus der kalten

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