Wenn du wiederkommst
Winterlandschaft
zurückkommen und an der Tür kratzen, freuen wir uns schon auf frisches Futter und eine warme Stube.
Ich habe mir meinen Lebensunterhalt immer selbst verdient, sagte ich gekränkt.
Immer wieder versuchten wir, einander zu erklären, was wir für lebenswichtig hielten, und hörten dabei nur den Egoismus des anderen heraus.
Die Größe eines Menschen, dozierte Jerome, als wir in einem unbequemen Hotelbett in Pittsburgh keinen Schlaf fanden, bestehe in der Größe seiner Liebesfähigkeit, nur Spießer seien monogam. Und worin lag mein Egoismus?, frage ich mich jetzt. Wenn er hier wäre, würde er, ohne lange zu überlegen, ausreichend Beweise dafür finden, Bitten, die ich ihm abschlug, Zärtlichkeiten, die ich ihm versagte, Erwartungen, die ich enttäuschte. Er würde sich an jedes Mal erinnern, wenn er mich bat zu bleiben, und ich antwortete, zu Hause bleiben könne ich, wenn ich alt sei. Aber er war mein Zuhause. Vielleicht habe ich mehr genommen als gegeben.
Als wir unseren Ehevertrag aufsetzten, hatten wir keine Ahnung, was es bedeutet, dem anderen die Freiheit zu lassen und nicht zu wissen, ob er zurückkommt. Manchmal war Jeromes Eifersucht so unverhüllt, als sei meine Arbeit ein ernstzunehmender Rivale, dessen Existenz er herunterspielte, weil es nichts nützte, mich vor die Wahl zu stellen. Er wußte, ich würde mich immer wieder für meine Unabhängigkeit und daher, wie er es sah, gegen ihn entscheiden. Er wollte ja nichts Unmögliches, nur eine konventionelle Ehe, wie alle anderen sie hatten. Schließlich versuchte er die Pattstellung durch ein Ultimatum zu beenden: Wenn du dich nicht entscheiden kannst, ohne monatelange Unterbrechungen mit mir zu leben, dann will ich die Scheidung. Er sei es leid, Flugreisen auf sich
zu nehmen, um mich zu sehen. Jerome hatte Angst vor dem Fliegen, die sich durch keine Gewöhnung überwinden ließ, jedesmal, bevor wir in ein Flugzeug stiegen, trat Todesangst in seine Augen. Er hat sein Ultimatum nie zurückgenommen, aber wir einigten uns in den folgenden fünfzehn Jahren stillschweigend auf einen Kompromiß, der uns die Freiheit ließ, die wir brauchten, ohne uns endgültig zu trennen.
Die Wolkenbrüche der letzten Woche wechseln mit Stunden tropischer Hitze, in denen von den Autodächern und den geteerten Straßen Dampf aufsteigt, und rund ums Haus schießt Unkraut üppig und giftgrün aus dem Boden. Die Nachbarn lärmen, das Leben draußen geht weiter, als wäre nichts geschehen. Plötzlich ist die Wand zwischen Kellertreppe und Flur, dort wo die leeren Weinflaschen gestapelt waren, lebendig und schwarz vor Fliegen. Jahrelang ist hier vergärter Alkohol verdunstet. Bald bedecken Fliegen den ganzen Flur und fliegen in Schwärmen auf, wenn ich den schweren Stoff der bodenlangen Vorhänge bewege. Ich fahre zum nächsten Drugstore, es gibt unzählige Insektenvernichtungsmittel, vor wenig fürchten die Menschen hier sich mehr als vor Fliegen, nie zuvor habe ich die Panik verstanden, mit der sie nach einer einzelnen harmlosen Stubenfliege jagen können.
Als ich das Geschäft verlasse, peitschen wieder dichte Regenwände wie aus Wasserwerfern über den Parkplatz, ich biege auf die Straße ab, seit dreißig Jahren biege ich hier von links oder von rechts auf die breite Straße mit den Bogenlampen zwischen den Fahrbahnen ab, Ilana ging einige Jahre in die Schule gegenüber, und ich brachte sie jeden Morgen mit
dem Auto dorthin, aber jetzt fahre ich, als hätte ich keine Erinnerung an die Straße und pralle mit beschleunigter Wucht gegen den Betonpfeiler einer Lampe. Ich höre Krachen und Splittern, dann Stille bis auf das Meeresrauschen des Wolkenbruchs, das Auto steht, der Motor ist beim Aufprall abgestorben, und ich sitze über dem Lenkrad und überlege, ob ich noch lebe. Seit zweiunddreißig Jahren hatte ich keinen Unfall und jetzt, da es niemanden mehr gibt, den ich anrufen kann, damit er mir zu Hilfe käme, fahre ich wie eine Betrunkene gegen einen Laternenpfahl. Im strömenden Regen gehe ich um das Auto herum, die Stoßstange ist verbogen, der Scheinwerfer zersplittert, ein Reifen verformt, aber nicht platt, sonst kann ich nichts sehen, und als ich den Zündschlüssel umdrehe, springt der alte Toyota mit seinen hunderttausend Meilen auf dem Tachometer an und bringt mich nach Hause. Danke, Jerome, sage ich zu seinem Foto über dem Weinregal, ich weiß nicht, was genau passiert ist, trotzdem danke, ich dachte schon, ich wäre tot.
Ich bin noch nicht
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