Wenn du wiederkommst
jetzt geschieht.
Warum haben wir uns zu Jeromes Lebzeiten so selten gesehen, fragt Prabodh, es ist keine Frage, sondern nur Ausdruck des Bedauerns. Aber ich weiß, warum Jerome darauf achtete, daß wir uns nie sahen. Jeder Mensch braucht jemanden, bei dem er sich über den andern, der ihm nähersteht als die meisten Menschen und ihn daher auch öfter und mehr verletzt, beklagen kann, und ich bin sicher, daß Prabodh mehr Schlechtes als Gutes über mich gehört hat. Wir brauchen es nicht auszusprechen, seine Umarmung ist eine Versöhnung und seine Herzlichkeit sagt mir: Du hast zu ihm gehört.
Möchtet ihr euch von der Reise ausruhen, frage ich.
Nein, fahren wir gleich zum Friedhof, sagt Prabodh, und sie verstauen umständlich ein großes in Seidenpapier gewickeltes Bouquet im Auto. Ich habe vergessen, einen Stein aus meiner Sammlung von den Stränden Neuenglands mitzubringen und
schäme mich, einen beliebigen Kieselstein aufzuklauben, als käme ich ohne passendes Gastgeschenk.
Die Erde ist seit dem letztenmal aufgeschüttet worden, eine neue Schicht Kieselsteine liegt da, Ilanas Brief ist längst darunter begraben. Es ist, wie immer, vollkommen still, die Grabsteine erstrecken sich über die Hügelwellen bis zum Horizont. Prabodh legt Rosen rund um das Grab, rahmt das häßliche nackte Viereck aus Kieseln und lehmiger Erde mit Blumen ein. Dann beschwert er ein Stück weißen Papiers mit einem Stein: Cast a cold eye on life, on death. Horseman pass by steht darauf.
William Butler Yeats, warum? Ich sehe ihn fragend an.
Yeats war sein Lieblingsdichter, erwidert er, er war ja ein so großer Romantiker. Mehr will er nicht sagen, und wir verfallen in ein langes Schweigen. Ich bin fast sicher, daß es in diesem Schweigen um Suleyma geht. Ihr galt Jeromes schwärmerische Begeisterung für Yeats, für irische Literatur und den singenden, rhapsodischen Akzent, den er so hinreißend nachahmte, daß es irisch und jiddisch zugleich klang.
Später fahren wir ins Wonder Spice Cafe essen, es steht an der Straße mit den alten Straßenbahnschienen, aus der die Diners und kleinen ethnischen Lokale verschwunden sind. Es war unsere alte Straße in Jamaica Plain, damals, als wir uns kennenlernten, Jerome und ich, Prabodh und ich. Die heruntergekommene ehemalige Main Street, die an einen Westernfilm erinnerte, ist jetzt das Zentrum eines modischen Yuppie-Viertels. Wo vor dreißig Jahren die Armut farbiger und hispanischer Einwanderer eine dörfliche Atmosphäre schuf, mit Holzhäuschen ohne Veranda und ohne Panoramafenster, Verschlägen mit schmutzigen kleinen Fenstern, ist jetzt schicke Vorstadt mit Kunstgewerbeläden, viel Glas und grellen Farben, ein wenig exotisch und ziemlich teuer. Das
war damals beinah ein Slum, bemerkt Prabodh, und seht euch diesen Chic an.
Da, wo jetzt die Tische des Wonder Spice Cafes hinter der breiten Glasfront stehen, war vor fünfunddreißig Jahren der Paketschalter der Post, hier habe ich zwanzig Bücherpakete nach Europa aufgegeben, die nie ankamen. Und dort, an der Ecke, wo die Bar mit den bunten Glasfenstern und den marmornen Eingangstufen ist, hatte im Erdgeschoß der libanesische Schneider seine Werkstatt, bei dem Jerome am Anfang unserer Ehe seine Anzüge anfertigen ließ. Ich stand dabei, begutachtete den Sitz der Schultern und die Armellänge, und erst vor ein paar Tagen, als ich die Fotos aus dieser Zeit sortierte, sah ich, wie schäbig ich gekleidet war, ich erinnerte mich an die weihevollen Anproben beim Schneider, und mit dreißigjähriger Verspätung packte mich eine ganz unverbrauchte Wut. Als er aufhörte, mir als seiner Königin zu huldigen, weil das Objekt seiner Verehrung sich in seine Ehefrau verwandelt hatte, widersetzte er sich mit passiver Sturheit, die nie erörtert wurde, jeder Ausgabe, die mich betraf. Und jetzt erst, nach dreißig Jahren erreicht mich das ganze Ausmaß der darin verborgenen Geringschätzung.
Ich sitze Prabodh und Vijay gegenüber und schaue auf die trotz allem noch immer dörfliche Main Street hinaus und frage mich, warum ich ein so heftiges Heimweh nach diesem Ort habe, den ich in all den Jahren nie besuchte, obwohl er so nahe war, und warum ich mich jetzt verraten fühle, weil er meine Erinnerungen nicht konserviert hat und nicht derselbe geblieben ist.
Dort hat er gewohnt, berichtet Prabodh seiner Frau, und zeigt auf den Jamaica Tower, der die zweistöckigen, mit weißen Holzschindeln verkleideten Häuser des Viertels um zehn
Stockwerke überragt, vom
Weitere Kostenlose Bücher