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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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alter
Autoreifen und Schrotteile reparieren sie Autos. Ich sehe, wie ihm die Tränen in die Augen steigen, bevor er seinen Bruder herbeiwinkt und ihm auf arabisch die Nachricht mitteilt. Sie schütteln mir die Hand, zu bewegt, um etwas zu sagen, dem einen rinnen Tränen über die Wangen, man könnte meinen, sie hätten einen nahen Verwandten verloren. Keiner unserer Trauergäste war so aufgewühlt. Und gleichzeitig erinnere ich mich daran, daß sie Jerome zu überzeugen versuchten, daß der Drahtzieher des Terroranschlags auf das World Trade Center kein anderer gewesen sei als der Mossad. Aber sie nahmen es ihm auch nicht übel, als er sagte, das sei Unsinn, arabische Propaganda. Er war ein Freund, sagte der eine, ein großartiger Mensch und immer gutgelaunt.
    Von nun an stehen ich und Jeromes Auto unter ihrem Schutz. Zwei Tage später ist das Lenkrad wieder ausgefluchtet, der Reifen erneuert, das Auto, als wäre ich nie gegen einen Betonpfeiler gefahren. Lassen Sie das, und passen Sie auf sich auf, my friend, sagt der Syrer, als ich bezahlen will.
    Danke, Jerome, sage ich daheim zu seinem Foto, du hattest auch ein paar nützliche Freunde.
    Überall sehe ich ihn jetzt. Ich sehe, wie er in einem Geschäft verschwindet, mit den für ihn typischen kurzen, energischen Schritten, ich sehe ihn die Stufen von der Wäscherei herunterkommen mit einem frisch gebügelten Hemd in Zellophan, ich beobachte atemlos, wie er aus einem blauen Toyota Avalon aussteigt, wie er sein linkes Bein mit dem dicken Absatz auf die Straße schwingt, der weiße Lockenkopf sich hervorduckt, bevor der breite Rücken nachkommt und die kräftige Hand sich an der Fensteröffnung festhält, und ein glücklicher Schwindel erfaßt mich, aber erst als der Mann neben seinem Auto steht, kann ich mich enttäuscht abwenden. Es nützt nichts zu wissen,
daß er es nicht sein kann, daß er nirgendwo sein kann, mein Magen verkrampft sich, mein Herz beginnt ohne mein Zutun zu hämmern, und für den Bruchteil einer Sekunde flammt eine wilde Hoffnung auf, gegen diese Erwartung des Unmöglichen kommt die Vernunft nicht an. Ich kann es nicht verhindern, daß ich jeden Tag, wenn ich meine e-mails abrufe, den Atem anhalte, daß ich erstarre, wenn das Telefon läutet. Es kommt mir vor, als sei er verreist und ich räume das Haus für seine Rückkehr auf, werfe endlich alle sinnlosen, unbrauchbaren Dinge, bis auf das Allernötigste, weg, um unser Leben auf das Wesentliche zu beschränken. Und das Haus wird währenddessen immer leerer.
    Ich gehe durch Straßen und Supermärkte und fühle mich nackt und ausgeliefert, als hätte man mich kahlgeschoren und gebrandmarkt. Das Minimum an Maskierung, das es braucht, um der Außenwelt standzuhalten, gelingt mir nicht mehr, ich empfinde mich als Mangelwesen, das sich mit geschwächter Kraft am Leben festhält. Nie zuvor war es mir bewußt geworden, wieviel Robustheit die Wirklichkeit uns abverlangt, wie schmal der Streifen Leben ist, auf dem man sich frei von Angst bewegen kann. Die Haare hängen mir ins Gesicht, ich schlüpfe gedankenlos in die ausgetretenen Schuhe mit dem Riß über der rechten kleinen Zehe und spüre die Nässe nicht, die Jeans schlottern mir um die Hüften. Hätten wir einen Sohn, würde er sich als Zeichen der Trauer um seinen Vater einen Bart wachsen lassen. Die Spiegel zu verhängen und den eigenen Körper zu vernachlässigen erscheint mir nicht mehr als ein Gebot der Trauernden, sondern als natürliche Abkehr von der Welt und Nähe zu den Toten. In den Gesichtern der Menschen lese ich meine eigene Schutzlosigkeit, sie reden mit mir wie mit einem zurückgebliebenen Kind, im Unterschied
zur Schiwa-Woche wehre ich mich nicht mehr. Aber wenn ich im Supermarkt etwas entdecke, das Jerome Freude machen würde, strecke ich unwillkürlich die Hand aus, um es für ihn zu kaufen.
    Ich habe Prabodh seit Jahren nicht mehr gesehen, und meine Augen suchen unter den Ankommenden in der Bahnhofshalle nach einem schlanken Inder mittleren Alters. Er hat mich zuerst erkannt und kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, ein kleiner beleibter, weißhaariger Mann, gezeichnet von der Operation, die ihn daran hinderte, zum Begräbnis zu kommen. Wie eigenartig, daß Jeromes Tod jede Fremdheit zwischen uns aufhebt. In dem Moment, in dem wir uns umarmen, sind wir einander nah wie Hinterbliebene. Und wie vor einer Woche, als einige von Jeromes Verwandten mich nach dreißig Jahren in die Familie aufnahmen, bedauern wir, daß es erst

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