Wenn du wiederkommst
wäre mir sicher. Zehn Jahre oder länger standen wir an der Schwelle zu dem, was Jerome Versöhnung nannte. Versöhnt waren wir ja längst, aber er meinte damit ein Leben wie vor der Trennung, er meinte die selbstverständliche Intimität eines Paares, die aus einem Zusammenleben ohne Abschiede und Neuanfänge entsteht. Jedesmal, wenn wir darüber sprachen, sagte ich, wenn du
mich wieder heiraten willst, müssen wir erst über ein paar Einzelheiten verhandeln, damit es nachher keine Überraschungen gibt. Und er wollte zuerst wissen, ob wir zu der Liebe zurückkehren konnten, an die er sich erinnerte, einer Liebe wie am Anfang. Aber im letzten Augenblick, noch während wir uns küßten, scheuten wir davor zurück.
Wenige Monate nach der Scheidung trafen wir uns in Montreal, er war die ganze Strecke von Boston heraufgefahren und hatte eine Hotelsuite gemietet, er mußte lange recherchiert haben, so sorgfältig war das Programm ausgesucht, das er mir bot, und er war großzügig und aufmerksam, mit keinem Blick und keinem Wort deutete er eine Absicht an, die über ein freundschaftliches Treffen hinausging, nie überschritt er die Grenzen vollendeter Zuvorkommenheit. Es waren schöne Tage, aber meine Erinnerungen sind bis auf ein paar Bilder und das starke Gefühl der Geborgenheit verblaßt. Ich erinnere mich an alte Plätze mit kahlen Bäumen und an einen hohen blauen Frühlingshimmel, an die beißende Kälte des Windes bei einer Wanderung am Fluß, und an Cafes, in denen wir uns an den großen Tassen eines Cafe au lait die Hände wärmten und redeten. Es war auch jetzt keine Fremdheit zwischen uns, wir waren Freunde, die sich über ihr Wiedersehen freuten. Nachts schliefen wir in dem großen Doppelbett, und wenn ich mich auszog, drehte er sich weg. Erst am letzten Morgen wurde mir die Bedeutung der Champagnerflasche bewußt, als er sie mit einem zornigen Ruck aus dem schmelzenden Eis zog. In diesem Augenblick erst begriff ich seine Erwartungen der vergangenen Tage und Nächte. Ich wollte ihn umarmen, aber er hatte sich schon abgewandt und drängte unwirsch, es sei Zeit zu gehen. Wir haben nie darüber geredet, es war eine der vielen versäumten Möglichkeiten, eine
Enttäuschung, wie wir sie einander aus Unvermögen noch oft bereiten sollten.
Statt sich mir anzuvertrauen, statt mich zu fragen, was ich von ihm erwartete, fuhr er zu seinem Shrink, einem Vorstadttherapeuten mit einer Praxis in einer verlassenen Strip Mall, und wenn er zurückkam, war er niedergeschlagen und auf eine feindselige Art verschlossen. Time to move on, hätte der Psychotherapeut ihm geraten, erzählte Jerome später, voran ohne zurückzuschauen, das Alte sei tot, man müsse es hinter sich lassen, sich von Mißlungenem abwenden, neu beginnen. Damit lag er im Trend der Zeit. Diesen Rat hättest du aus einer Seifenoper billiger haben können, sagte ich. Eine neue Liebe, schöner als alles zuvor, würde auftauchen, versprachen sie ihm, nicht nur sein Shrink, auch Louise, wahrscheinlich alle, die er jemals um Rat gefragt hatte, sobald er mit seinem alten Leben ins reine gekommen sei, aufgeräumt und die Vergangenheit aus der Erinnerung ausgebrannt habe.
Jeromes stets unzufriedener Geist, der mit seiner Sehnsucht immer schon woanders war, nahm das Versprechen begierig auf. Außerdem hatte er die Gewißheit, daß ich mit unerschütterlicher Treue immer wiederkommen würde, auch wenn er mich mit seiner Unzufriedenheit quälte und noch viele Male vertrieb. Ich hatte mich im Warten gut eingerichtet und kam jedesmal zurück, weil ich davon überzeugt war, daß meine endgültige Rückkehr zu ihm, irgendwann später, nur eine Frage der Zeit war. Es war eine Übereinkunft, die mir entgegenkam, in dieser Hinsicht hatte sein Therapeut recht. Sie hat genau die Situation herbeigeführt, die ihr entspricht, erklärte er Jerome, sie hat die Freiheit, zu kommen und zu gehen, wie es ihr beliebt, und gleichzeitig den Halt einer Lebensbeziehung. Das ist es, was sie alle mit Groll gegen mich erfüllt, Harold und
Emily und die ganze Trauergemeinschaft und vielleicht ein wenig sogar meine Tochter. Aber darin irrte sein Therapeut, es war kein fester Halt, es war ein Drahtseilakt, der fünfzehn Jahre dauerte und von der Kraft des Wünschens in Balance gehalten wurde. Wir wollten ihn beenden, demnächst, wenn alles Vordergründige erledigt war: dieser Auftrag noch, von dem so viel abhing, ein weiteres Buch, nur noch das eine, jene Reise, die ich mir schon so lange
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