Wenn du wiederkommst
vorgenommen hatte, und wenn ich dann zurückkam, hatte er gerade wieder jemanden kennengelernt, und es war neu und aufregend. Ich heirate sie ja nicht, sagte er, ich glaube nicht, daß ich sie liebe, aber ich brauche diese Spannung, um mich lebendig zu fühlen, und du bist zu selten da. Dieses eine Abenteuer noch, dann kommen wir zueinander zurück. Darüber vergingen fünfzehn Jahre.
Bei jeder Rückkehr wiederholte sich die anfängliche Vorsicht, die Ungewißheit, ob alles beim alten war. Es konnte vorkommen, daß in den ersten Stunden eine Reizbarkeit und Fremdheit zwischen uns lag, die sich in rauhem Geplänkel Luft machten, bevor wir uns wieder aneinander gewöhnten. Manchmal machte er sich einen Spaß aus meiner Unsicherheit, strafte mich für meine Treulosigkeit, sagte am Telefon, ich werde dich nicht abholen können, deutete an, ich sei im Weg. Aber spätestens am zweiten Tag hatten wir die alte Vertrautheit wiederhergestellt. Jedesmal stand er erwartungsvoll im Türrahmen, während ich den Koffer auspackte und meine Mitbringsel hervorholte. Er nahm sie in Empfang wie ein Kind seine Geburtstagsgeschenke. Es waren schöne Augenblicke der Wiedersehensfreude. An diesen Abenden gingen wir stets in dasselbe chinesische Restaurant und aßen die gleichen Speisen, und ich konnte mein Bedürfnis, ihn ständig zu berühren, nicht im Zaum halten. Auch dieses Restaurant wurde
geschlossen und wird umgebaut, in derselben Woche, in der Malkas Bäckerei zusperrte und Jerome begraben wurde.
Auf der Kommode im Eßzimmer, direkt hinter Jeromes leerem Stuhl, lehnt das Foto von unserem Ausflug nach Rockport an einer Vase, und der höfische Windhund aus Rosenthal-Porzellan, eine Filigranarbeit nicht größer als zehn Zentimeter, den ich bei einer Antiquitätenmesse kaufte und Jerome zu seinem sechzigsten Geburtstag schenkte, macht ihm mit graziös angewinkelter Pfote seine Aufwartung. Er wird seinen Antrag immer von neuem wiederholen, bis irgend jemand nach meinem Tod die beiden trennen wird, weil er nicht weiß, daß sie zusammengehören, das Foto und der Hund. Ich würde es jedem gegenüber leugnen, daß es zwischen den beiden eine Verbindung gibt, aber insgeheim ist das zweihundert Jahre alte zarte Porzellanhündchen mit der blauen Halsschleife Symbol der gescheiterten Nähe zwischen uns. Nicht, daß ich Nippes besonders mag, aber Jerome liebte das Gegenständliche, und er sammelte Figurinen seit seiner Jugend. Ich hatte gehofft, er würde mein symbolisches Werben verstehen, aber er beachtete das Geschenk kaum, schon gar nicht als Vorhut erbettelter Liebe. Wenn du möchtest, sagte ich, ist er bereit, dir meinen Antrag zu überbringen, zur Vorsicht machte ich einen Scherz daraus. Nein, erwiderte er und wandte sich ab, schob mir den Hund mitsamt der Geburtstagskarte über den Tisch zurück. Aber ich liebe dich, sagte ich ein letztes Mal, ich habe nie jemanden so geliebt wie dich. Ich stand nicht auf, um mein Geschenk mit einer stolzen Geste an mich zu nehmen und ihn ein weiteres Mal zu verlassen. Ist es so schwer zu verstehen, daß man aus Liebe nicht geht, wenn man weggeschickt wird?
Ich weiß, ich hatte kein Recht zur Eifersucht, sagte ich in der Trauerwoche.
Es freut mich, daß dir das klar ist, erwiderte Harold sarkastisch.
Hättest du mich auch zurückgewiesen, wenn du gewußt hättest, wie wenig Zeit uns blieb? frage ich jetzt Jeromes Foto.
Zwischen Wäschestücken und schlecht gefalteten Hemden finde ich die Briefe, Liebesbriefe, Lockbriefe, die Jeromes Zurückweisung erklären: Ich fühle mich noch voll Tatendrang und Unternehmungslust, schreibt er, ich habe eine erwachsene Tochter, die ich sehr liebe, aber ich wollte immer mehr als ein Kind, ich möchte noch Kinder mit Ihnen haben. Aber im selben Monat schrieb er an eine andere: Die Zeit mit dir war die schönste in meinem Leben, so oft sehne ich mich danach zurück. Es sind Brieffragmente, sie brechen mitten auf der Seite ab und sind nicht unterschrieben, aber er hat sie gedacht und seine Sehnsucht niedergeschrieben. Selbst als flüchtige Anwandlungen wären sie so wirklich wie alles, was er für mich empfunden hat. Eine große Trauer über die Vergeblichkeit unserer immer von neuem versuchten Liebe überwältigt mich angesichts dieser Zeugnisse seiner Sehnsucht. Alle diese Unbekannten werden nichts von seinem Tod erfahren. Und wenn sie es erführen, würde es ihnen eine einzige schlaflose Nacht bereiten? Wie lange würde es sie verstören? Eine Stunde? Einen Tag?
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