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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Tod, vielleicht ist es das, was sie spüren, ohne es zu begreifen. Sie kommen her und tun, was sie tun, aber nie belegen sie Kurse, keiner interessiert sich für die Literatur der Kimmerer, die in diesen Büchern begraben liegt wie in Gräbern auf einem Friedhof. ..«
    »Mich interessiert nun aber gerade. Ich bin gekommen«, unterbrichst du ihn, »um Sie zu fragen, ob es einen kimmerischen Roman gibt, der anfängt. Nein, ich nenne wohl besser gleich die Namen der Hauptpersonen: Gritzvi und Zwida, Ponko und Brigd; die Handlung beginnt in Kudgiwa, aber das ist vielleicht nur ein Gutshof; sie geht dann, glaube ich, weiter in Petkwo, am Aagd. ..«
    »Oh, das haben wir gleich!« Der Professor schüttelt im Nu alle hypochondrischen Nebel ab und strahlt dich an wie eine Glühbirne. »Es handelt sich ohne Zweifel um Über den Steilhang gebeugt, den einzigen erhaltenen Roman von Ukko Ahti, einem der allerbegabtesten kimmerischen Dichter aus dem ersten Viertel des Jahrhunderts. Hier, sehen Sie!« Mit einem Satz wie ein Fisch, der eine Stromschnelle überspringt, hechtet der kleine Mann zu einer bestimmten Stelle in einem Regal, schnappt sich ein schmales Bändchen in grünem Einband und klopft den Staub ab. »Ist nie in irgendeine andere Sprache übersetzt worden, die Schwierigkeiten sind wohl so groß, daß sie jeden abschrecken. .. Hören Sie: >Ich bin im Begriff, meine Überzeugung darauf zu lenken. ..< Nein: >Fortschreitend überzeuge ich mich vom Akt des Übermittelns. . . < Sie werden bemerken, daß beide Verben im Präsens iterativum stehen. «
    Eins wird dir sofort klar: Dieses Buch hat mit dem, dessen Anfang du gelesen hast, nichts zu tun. Lediglich ein paar Namen sind gleich - gewiß ein sehr sonderbarer Umstand, aber du denkst nicht lange darüber nach, denn aus der mühsam extemporierten Übersetzung Uzzi-Tuziis zeichnet sich bald schon der Umriß einer Geschichte ab, aus seiner atemlosen Entzifferung loser Wortkrumen formt sich eine breit angelegte Erzählung.

Über den Steilhang gebeugt
    Ich gelange zur Überzeugung, daß mir die Welt etwas mitteilen will, durch Botschaften, Zeichen, Warnungen. Seit meiner Ankunft in Petkwo spüre ich das. Jeden Morgen mache ich meinen gewohnten Spaziergang von der Pension Kudgiwa hinunter zum Hafen. Ich gehe an der Wetterstation vorbei und denke an das nahende Ende der Welt: Bald wird es kommen, ja, es hat schon seit langem eingesetzt. Ließe das Ende der Welt sich räumlich auf einen bestimmten Punkt fixieren, so wäre dieser gewiß die Wetterstation von Petkwo: ein Wellblechdach auf vier wackligen Holzpfählen über einer erhöhten Plattform aus Brettern, darauf eine Reihe von Barographen, Hygrometern und Thermographen, deren Trommeln linierten Papieres langsam an einem zitternden Schreibarm vorbeiziehen, leise tickend wie Uhren. Ein Windrad auf einer hohen Stange und ein Regenmesser mit gedrungenem Trichter vervollständigen die spröde Apparatur dieser Wetterstation, die, abgelegen am Rande einer Böschung im Stadtpark, vor dem bleigrauen, reglosen Himmel gleichsam wie eine Falle für Wirbelstürme erscheint -ein Köder, dort ausgelegt, um die Windhosen anzulocken aus fernen tropischen Ozeanen, sich selber gleichsam bereits als Idealruine dem Wüten der Orkane darbietend.
    An manchen Tagen erscheint mir alles, was ich erblicke, bedeutungsschwanger: voller Botschaften, die zu definieren, in Worte zu fassen und anderen mitzuteilen mir schwerfallen würde, aber die sich mir gerade deswegen als entscheidend darstellen. Es sind Ankündigungen und Vorzeichen, die mich und zugleich die Welt betreffen - und zwar von mir nicht die äußerlichen Begebenheiten des Daseins, sondern das Geschehen im tiefsten Innern, und von der Welt nicht irgendeine Besonderheit, sondern die allgemeine Bewandtnis des Ganzen. Man wird infolgedessen begreifen, daß ich darüber kaum anders zu sprechen vermag als in Andeutungen.
     
    Montag. Heute sah ich eine Hand aus einem Fenster des Gefängnisses ragen, in Richtung des Meeres. Ich ging meiner Gewohnheit entsprechend die äußere Hafenmole entlang bis hinter die alte Festung. Die Festung ist ringsum eingeschlossen in ihre schrägen Mauern, die Fenster mit ihren doppelten oder dreifachen Eisengittern wirken blind. Obwohl ich wußte, daß dort die Sträflinge schmachten, hatte ich diese Festung stets wie einen Teil der trägen Natur, des Reiches der Steine empfunden. Daher überraschte mich die Erscheinung der Hand, als käme sie aus dem Stein. Die

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