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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Schwester aus dem Wege zu gehen versucht. Wenn sie nicht pünktlich zu eurem Treffpunkt gekommen ist, dann liegt das vielleicht bloß daran, daß sie Lotaria nicht begegnen wollte, die hier um diese Zeit ihr Seminar hat.
    Allerdings muß es, so überlegst du, für diese Unverträglichkeit der beiden Schwestern auch Ausnahmen geben, zumindest im Hinblick auf das Telefon. Du solltest diesen Irnerio noch etwas mehr zum Sprechen bringen, um zu sehen, ob er wirklich so viel weiß.
    »Bist du ein Freund von Ludmilla oder von Lotaria?« »Von Ludmilla natürlich. Aber ich bring es auch fertig, mit Lotaria zu reden.« »Kritisiert sie die Bücher nicht, die du liest?« »Ich? Ich lese keine Bücher!« erklärt Irnerio bündig. »Und was liest du dann?«
    »Gar nichts. Ich habe mich so ans Nichtlesen gewöhnt, daß ich nicht mal lese, was mir zufällig unter die Augen kommt. Das ist nicht leicht: Im zarten Kindesalter bringen sie einem das Lesen bei, und dann bleibt man das ganze Leben lang Sklave all des geschriebenen Zeugs, das sie einem ständig vor die Augen buttern. Na ja, auch ich mußte mich in der ersten Zeit schon ein bißchen anstrengen, bis ich nichtlesen konnte, aber inzwischen geht's ganz von allein. Das Geheimnis ist, daß du nicht weggucken darfst, im Gegenteil, du mußt hinsehen auf die geschriebenen Wörter, du mußt so lange und intensiv hinsehen, bis sie verschwinden.«
    Irnerios Augen sind groß und hell, die Pupillen bewegen sich rasch; es scheint, daß ihnen nichts entgeht, wie denen eines Urwaldbewohners, der sein Leben mit Jagen und Sammeln verbringt.
    »Und warum kommst du dann her, was machst du hier an der Uni, kannst du mir das sagen?«
    »Warum soll ich nicht herkommen? Hier sind Leute, die aus und ein gehen, man trifft sich, man spricht miteinander. Das ist der Grund, warum ich herkomme. Warum die anderen kommen, weiß ich nicht.«
    Du versuchst dir vorzustellen, wie die Welt - diese Welt voller Schrift, wo immer wir uns auch hinwenden - einem vorkommen mag, der nichtlesen gelernt hat. Und zugleich fragst du dich, welche Beziehung zwischen dem Nichtleser und der Leserin bestehen mag, und plötzlich scheint dir, daß gerade ihre Distanz sie verbindet, und du kannst einen Anflug von Eifersucht nicht unterdrücken.
    Gern würdest du jetzt noch mehr von Irnerio erfahren, aber ihr seid am Ziel angelangt, eine schmale Seitentreppe hat euch zu einer niedrigen Tür geführt, auf der ein Pappschild verkündet: »Institut für botnisch-ugrische Sprachen und Literatur«. Irnerio klopft kräftig an, sagt »Tschüs« und läßt dich stehen.
    Die Tür öffnet sich einen Spaltbreit, langsam und knarrend. Wegen der weißen Kalkspritzer auf der Füllung und wegen der Kappe, die nun über einer schaffellgefütterten Arbeitsjacke erscheint, denkst du im ersten Moment, das Institut sei wegen Renovierung geschlossen und es sei nur ein Anstreicher da oder einer zum Saubermachen. »Ist Professor Uzzi-Tuzii da?«
    Der bejahende Blick aus den Augen unter der Kappe ist alles andere als der eines Anstreichers: So blickt einer, der gleich über einen Abgrund zu springen gedenkt und sich geistig bereits hinüberversetzt, fest das andere Ufer fixierend, ohne zur Seite oder gar in die Tiefe zu schauen.
    »Sind Sie es?« fragst du, obwohl dir schon klar ist, daß es kein anderer sein kann.
    Der kleine Mann öffnet den Spalt nicht weiter. »Sie wünschen?«
    »Entschuldigen Sie, es ist wegen einer Auskunft. Wir hatten Sie angerufen. Fräulein Ludmilla, ist Fräulein Ludmilla hier?«
    »Hier ist kein Fräulein Ludmilla!« antwortet der Professor. Er tritt zurück und weist auf die vollgestopften Bücherregale ringsum an den Wänden, auf die mit unleserlichen Namen und Titeln beschrifteten Bände, als wären sie eine dichte, undurchdringliche Hecke. »Warum suchen Sie gerade bei mir?« - Und während dir einfällt, was Irnerio sagte, nämlich daß dies hier ein Ort sei, an dem sich Ludmilla gern versteckt, scheint Uzzi-Tuzii mit seiner Geste die Enge seines Büros zu betonen, als wollte er sagen: »Such nur, wenn du meinst, sie sei hier«, als fühle er das Bedürfnis, sich gegen den Verdacht zu wehren, er habe Ludmilla irgendwo hier versteckt.
    »Wir wollten zusammen herkommen«, sagst du, um das Mißverständnis zu klären.
    »Warum ist sie dann nicht bei Ihnen?« fragt der Professor, und auch diese an sich ganz logische Frage klingt etwas mißtrauisch.
    »Sie wird sicher gleich nachkommen. «, versicherst du, doch es hört sich

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