Wenn ein Reisender in einer Winternacht
und den Glauben verlor.
Er irrte. Die endgültige Formulierung des Satzes war seine Aufgabe. Ihm oblag die Sorge für die innere Kohärenz der geschriebenen Sprache, für die korrekte Grammatik und Syntax, um in sie den Fluß eines Denkens zu fassen, das sich außerhalb jeder Sprache verbreitet, bevor es Wort wird, und zumal ein so fließendes Wort wie das eines Propheten. Allah war auf die Mitarbeit eines Schreibers angewiesen, seit er beschlossen hatte, sich in einem geschriebenen Text auszudrücken. Mohammed wußte das und ließ dem Schreiber das Privileg, den Satz zu vollenden. Doch Abdullah war sich der ihm verliehenen Macht nicht bewußt. Er verlor den Glauben an Gott, weil ihm der Glaube ans Schreiben fehlte, an die Schrift und an sich als den Schriftführer.
Wäre es einem Ungläubigen gestattet, sich zu den Legenden über Allahs Propheten neue Varianten auszudenken, so würde ich folgende vorschlagen: Abdullah verliert den Glauben, weil ihm bei der Niederschrift des Diktates ein Fehler unterläuft und Mohammed, obwohl er es merkt, ihn nicht korrigiert, da ihm die fehlerhafte Formulierung besser gefällt. Auch in diesem Falle wäre Abdullah zu Unrecht empört. Erst auf der geschriebenen Seite, nicht vorher, findet das Wort seine schließliche Form, auch das prophetische Wort der entrückten Schau, erst hier wird es endgültig, also Schrift. Allein durch die Begrenztheit unserer Akte des Schreibens wird die Unermeßlichkeit des Nichtgeschriebenen lesbar: durch die Unsicherheiten der Orthographie, die Versehen, Versprecher, Lücken, die unkontrollierten Lapsus der Zunge und Feder. Andernfalls sollte das außer uns Seiende nicht danach trachten, sich durch das gesprochene oder geschriebene Wort mitzuteilen: Es sollte sich andere Wege suchen, um seine Botschaften auszusenden.
Soeben kommt der weiße Schmetterling angeflattert: Er ist durch das ganze Tal herübergeflogen, vom Buch der Leserin bis auf die Seite, die ich schreibe.
Seltsame Leute treiben sich hier im Tal herum: Literaturagenten, die meinen neuen Roman erwarten, für den sie Vorschüsse von Verlagen aus aller Welt in der Tasche haben; Werbeagenten, die möchten, daß meine Personen bestimmte Kleider tragen und bestimmte Fruchtsäfte trinken; Programmierer, die behaupten, sie könnten mit ihren Computern meine unfertigen Romane beenden. Ich gehe so wenig wie möglich aus, meide das Dorf, nehme mir zum Spazierengehen einsame Bergpfade.
Heute bin ich einer Gruppe von jungen Leuten begegnet, die das Gebaren von Pfadfindern hatten, halb schwärmerisch, halb penibel. Auf einer Wiese legten sie Zeltplanen aus, angeordnet zu geometrischen Figuren.
»Signale für Flugzeuge?« fragte ich.
»Für fliegende Untertassen«, erklärten sie mir. »Wir sind Ufo-Beobachter. Dies hier ist ein Durchzugsgebiet, eine Art Flugschneise, die in letzter Zeit ziemlich stark frequentiert wird. Vermutlich weil hier in der Gegend ein Schriftsteller wohnt, den die Bewohner anderer Planeten zum Kommunizieren benutzen wollen.«
»Wieso glaubt ihr das?«
»Weil dieser Schriftsteller schon seit einiger Zeit in der Krise steckt und nicht mehr schreiben kann. Die Zeitungen rätseln über den Grund. Nach unseren Berechnungen könnten es die Bewohner anderer Welten sein, die ihn inaktiv halten, damit er seine irdische Konditionierung abbaut und rezeptiv wird.«
»Und warum gerade er?«
»Die Außerirdischen können nicht direkt zu uns sprechen.
Sie müssen sich indirekt ausdrücken, bildlich, durch ein Medium. Zum Beispiel durch Geschichten, die ungewöhnliche Emotionen hervorrufen. Wie es scheint, hat dieser Schriftsteller eine gute Technik und eine gewisse Elastizität in seinen Ideen.«
»Habt ihr denn seine Bücher gelesen?«
»Was er bisher geschrieben hat, interessiert uns nicht. Aber das neue Buch, das er nach Überwindung seiner Krise schreiben wird, könnte die kosmische Botschaft enthalten.«
»Wie übermittelt?«
»Spirituell. Er selber dürfte es gar nicht merken. Er würde glauben, daß er aus freien Stücken schreibt. In Wirklichkeit würde die Botschaft aus dem All über Wellen, die sein Gehirn auffängt, in sein Schreiben einsickern.«
»Und ihr könntet diese Botschaft entziffern?«
Sie gaben mir keine Antwort.
Wenn ich daran denke, daß diese jungen Leute in ihrer interplanetarischen Erwartung enttäuscht sein werden, empfinde ich ein gewisses Bedauern. Eigentlich könnte ich leicht in mein nächstes Buch etwas einfügen, das ihnen als
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