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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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daraus ziehen könnte, daß ich dieses eine Wort fünfzigmal oder nur einmal verwendet habe. Vielleicht sollte ich's besser streichen. .. Aber jedes andere Wort, das ich statt seiner erwäge, scheint mir der Prüfung ebensowenig gewachsen. Vielleicht sollte ich statt eines Buches lieber alphabetisch geordnete Wortlisten schreiben, eine Flut isolierter Wörter, in denen sich jene Wahrheit ausdrücken mag, die ich noch nicht kenne, und aus denen sich dann die EDV-Anlage, in Umkehrung ihres Programms, das Buch herausholen mag, mein Buch.
     
    Nun ist die Schwester dieser über mich dissertierenden Lotaria aufgetaucht - einfach so, ohne sich vorher angemeldet zu haben, als wäre sie zufällig hier vorbeigekommen. Sie sagte: »Ich bin Ludmilla. Ich habe alle Ihre Romane gelesen.«
    Da ich wußte, daß sie Autoren nicht persönlich kennenzulernen wünscht, war ich erstaunt über ihren Besuch. Sie erklärte mir, ihre Schwester sehe die Dinge immer nur sehr partiell, und nicht zuletzt deswegen habe sie, nachdem Lotaria ihr von unseren Gesprächen berichtet hatte, sich selbst vergewissern wollen, gleichsam um sich persönlich von meiner Existenz zu überzeugen, da ich für sie das Idealmodell eines Schriftstellers sei.
    Dieses Idealmodell ist - um es mit ihren eigenen Worten zu sagen - das eines Autors, der Bücher macht, »wie ein Kürbisstrauch Kürbisse macht«. Sie benutzte noch andere Metaphern von Naturprozessen, die unaufhaltsam ihren Lauf nehmen, sprach vom Wind, der die Gebirge formt, von den Ablagerungen der Gezeiten, den Jahresringen bei Bäumen, aber das waren Metaphern für das literarische Schaffen im allgemeinen, während sie das Bild vom Kürbisstrauch direkt auf mich bezog.
    »Haben Sie etwas gegen Ihre Schwester?« fragte ich, denn sie sprach in einem leicht polemischen Ton wie jemand, der es gewohnt ist, seine Meinungen gegen den Widerstand anderer zu vertreten.
    »Nein, aber gegen jemanden, den Sie auch kennen«, sagte sie.
    Es gelang mir ohne allzuviel Mühe, den Hintergrund ihres Besuches aufzuklären. Ludmilla ist oder war die Freundin jenes Übersetzers Marana, für den die Literatur um so wertvoller ist, je mehr sie aus verwickelten Konstruktionen besteht, aus einem Komplex von Verzahnungen, Täuschungen, Fallen.
    »Und Sie meinen, was ich mache, ist etwas anderes?«
    »Ich habe mir immer vorgestellt, daß Sie schreiben, wie Tiere sich einen Bau anlegen, Ameisenhügel oder Bienenstöcke.«
    »Ich weiß zwar nicht, ob das sehr schmeichelhaft für mich ist, was Sie da sagen«, erwiderte ich, »aber bitte sehr, jedenfalls stehe ich nun leibhaftig vor Ihnen, und ich hoffe, Sie sind nicht zu sehr enttäuscht. Entspreche ich dem Bild, das Sie sich von Silas Flannery gemacht haben?«
    »Ich bin überhaupt nicht enttäuscht, im Gegenteil. Aber nicht weil Sie irgendeinem Bild entsprechen, sondern weil Sie ein ganz gewöhnlicher Mensch sind, genau wie ich's mir gedacht hatte.«
    »Lassen Sie meine Romane an einen gewöhnlichen Menschen denken?«
    »Nein, sehen Sie. Die Romane von Silas Flannery sind etwas so Naturwüchsiges. als wären sie immer schon dagewesen, bevor sie von Ihnen geschrieben wurden, mit allen Einzelheiten. .. als wären sie nur durch Ihre Person hindurchgegangen, hätten sich Ihrer nur bedient, weil Sie schreiben können, denn irgend jemand muß sie ja schreiben. Ich würde Ihnen gern einmal zusehen, wenn Sie schreiben, um zu prüfen, ob es wirklich so ist. «
    Ein stechender Schmerz durchzuckt mich. Für diese Frau bin ich nichts anderes als eine unpersönliche Schreibkraft, immer bereit, eine unabhängig von mir existierende imaginäre Welt aus dem Unausgedrückten in die Schrift zu bringen. Mein Gott, wenn sie wüßte, daß mir selbst davon nichts mehr geblieben ist: weder die Ausdruckskraft noch etwas zum Ausdrücken!
    »Was erwarten Sie denn da zu sehen? Ich kann nicht schreiben, wenn mir jemand zusieht. «, wehre ich ab.
    Sie erklärt mir, sie glaube begriffen zu haben, daß die Wahrheit der Literatur allein im physischen Akt des Schreibens liege.
    Im physischen Akt, im physischen Akt ... Die beiden Worte drehen sich mir im Kopf, beginnen zu tanzen, assoziieren Bilder, die ich vergeblich wegzudrängen versuche. Ich stammle: »Die physische Existenz. nun ja, hier stehe ich. ein existierender Mensch, physisch vor Ihnen, in Ihrer physischen Gegenwart. «, und mich überfällt eine bohrende Eifersucht, eine Eifersucht nicht auf andere Personen, nein: auf mich selbst, auf dieses mein Selbst

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