Wenn ein Reisender in einer Winternacht
fingierte Person ist, die der reale Autor erfindet, um sie zum Autor seiner Fiktionen zu machen. Viele seiner Behauptungen kamen mir durchaus einleuchtend vor, aber ich hütete mich, ihm das zu zeigen. Er sagte, er sei an mir vor allem aus zwei Gründen interessiert: erstens weil ich ein fälschbarer Autor sei, und zweitens weil er glaube, ich hätte die nötigen Gaben, um ein großer Fälscher zu werden, ein Schöpfer vollendeter Apokryphen. Ich könnte mithin den seines Erachtens idealen Autor verkörpern, das heißt den Autor, der sich vollkommen auflöst in der Wolke von Fiktionen, die unsere Welt umgibt. Und da Künstlichkeit oder Simulation für ihn die wahre Substanz aller Dinge sei, könne der Autor, der ein perfektes System von Simulationen erfände, sich schließlich mit dem All identifizieren.
Immerfort muß ich an mein gestriges Gespräch mit diesem Marana denken. Auch ich möchte mich auflösen, für jedes meiner Bücher ein anderes Ich erfinden, eine andere Stimme, einen anderen Namen, verlöschen und wiedergeboren werden. Aber es ist mein Ziel, im Buch die unlesbare Welt einzufangen: die Welt ohne Mittelpunkt, ohne Ich.
Genau bedacht könnte dieser totale Schriftsteller ein recht bescheidener Zeitgenosse sein, nämlich der, den man in Amerika Ghostwriter nennt, Geisterschreiber, ein Beruf von anerkannter Nützlichkeit, wenn auch von geringem Prestige: der anonyme Redakteur, der in Buchform bringt, was andere zu erzählen haben, Leute, die nicht schreiben können oder keine Zeit dazu haben; die Schreibhand, die den allzusehr mit existieren beschäftigten Existenzen zur Sprache verhilft. Vielleicht war das meine wahre Berufung, und ich habe sie verfehlt. Was hätte ich alles tun können: meine Ichs vervielfachen, andere Ichs annektieren, die mir und untereinander konträrsten Ichs fingieren. ..
Doch wenn es stimmt, daß die einzige Wahrheit, die ein Buch enthalten kann, eine individuelle ist, dann kann ich auch gleich meine eigene schreiben. Also das Buch meiner Erinnerungen? Nein, Erinnerungen sind nur so lange wahr, wie sie nicht gerinnen, nicht in eine Form gepreßt werden. Das Buch meiner Wünsche? Auch diese sind nur so lange wahr, wie ihre Triebkraft unabhängig von meinem Willen agiert. Die einzige Wahrheit, die ich schreiben kann, ist die des Augenblicks, den ich erlebe. Vielleicht ist das wahre Buch dieses Tagebuch, in dem ich die Bilder der Frau auf dem Liegestuhl zu den verschiedenen Tageszeiten so festzuhalten versuche, wie sie mir im wechselnden Licht erscheinen.
Warum nicht zugeben, daß meine Unzufriedenheit einen maßlosen Ehrgeiz in mir enthüllt, vielleicht einen Größenwahn? Dem Schriftsteller, der sich selbst annullieren will, um zur Sprache zu bringen, was außer ihm bleibt, tun sich zwei Wege auf: entweder ein Buch zu schreiben, das zum einzigen, allumfassenden Buch werden kann, da es auf seinen Seiten das All und das Ganze ausschöpft; oder alle Bücher zu schreiben, um das Ganze durch seine Teilbilder einzufangen. Das einzige, allumfassende Buch könnte nichts anderes sein als der heilige Text, das offenbarte totale Wort. Doch ich glaube nicht, daß die Totalität sich in Sprache einfangen läßt. Mein Problem ist das, was draußen bleibt, das Nichtgeschriebene, das Nichtschreibbare. Daher bleibt mir kein anderer Weg, als alle Bücher zu schreiben, die Bücher aller möglichen Autoren.
Wenn ich denke, daß ich ein Buch schreiben muß, blockieren mich all die vielen Probleme, wie dieses Buch beschaffen sein muß und wie es nicht beschaffen sein darf, und hindern mich am Vorankommen. Wenn ich dagegen denke, daß ich dabei bin, eine ganze Bibliothek zu schreiben, fühle ich mich sofort erleichtert: Ich weiß nun, daß alles, was immer ich jetzt auch schreibe, ergänzt, widerlegt, korrigiert, erweitert, begraben sein wird von den Hunderten anderer Bücher, die mir noch zu schreiben bleiben.
Das heilige Buch, von dem man am besten weiß, unter welchen Bedingungen es geschrieben wurde, ist der Koran. Zwischen der Totalität und dem Buch gab es mindestens zwei Vermittlungen: Mohammed lauschte auf Allahs Wort und diktierte es seinerseits seinen Schreibern. Einmal - so berichten die Biographen des Propheten - ließ er, als er dem Schreiber Abdullah diktierte, einen Satz unvollendet. Instinktiv schlug ihm der Schreiber das Ende vor, und zerstreut nahm der Prophet als Gottes Wort, was Abdullah gesagt hatte. Woraufhin dieser sich heftig empörte, den Propheten verließ
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