Wenn Eltern es zu gut meinen
Jugendliche zu viele Verpflichtungen hatte. Ihre Beobachtungen wären zutreffend. Doch auch wenn die Schwierigkeiten, mit denen ich in meiner Jugend konfrontiert war, einige psychische Narben hinterließen, bereiteten sie mich gut auf ein erfülltes Dasein als Erwachsene vor. Mithilfe einer Psychotherapie und einer Reihe großzügiger Mentoren habe ich meine wichtigsten Träume umgesetzt: eine umfassende höhere Bildung, einen Broterwerb, den ich liebe, enge Familienbande, eine solide Verankerung in der gebildeten Mittelschicht für meine Familie und mich und ein reiches, lohnendes spirituelles Leben. Ich bin inzwischen sogar dankbar für die Schwierigkeiten meiner Kindheit, weil sie zu einem Prozess des Entdeckens führten und mir frühzeitig zeigten, dass ich auf meine eigenen Stärken zählen konnte.
Das Überwinden von Schwierigkeiten
Um Selbstvertrauen zu haben, müssen wir uns mit Schwierigkeiten konfrontieren und sie überwinden. Auf diese Weise lernen wir, an uns selbst zu arbeiten und mit anderen zu kooperieren sowie Einfühlungsvermögen und Mitgefühl für das menschliche Leiden zu entwickeln - eine unschätzbare Einsicht.
Als ich Jeannie Norris, die Leiterin der Miss-Hall’s-Mädchenschule in Pittsfield, Massachusetts, telefonisch
interviewte, waren wir sofort einer Meinung, dass Problemlösen den Reifungsprozess bei jungen Menschen unterstützt. 1 Die Schule hat 190 Schülerinnen im Alter von 13 bis 18 Jahren, die aus sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und kulturellen Milieus stammen. Die meisten Mädchen leben im Internat, aber einige sind auch Externe. »Nachdem ich zwei Töchter großge zogen habe und seit 1977 an Mädchenschulen arbeite, kann mich bei jungen Mädchen nicht mehr sehr viel aus der Fassung bringen«, scherzte Frau Norris. Sie hat über den Zusammenhang von Glück und Selbstän digkeit bei Teenagern geschrieben. »Alle suchen nach einem Rezept, um unsere Kinder glücklich zu machen, aber Eltern haben noch nicht recht begriffen, dass Glück und Selbständigkeit Hand in Hand gehen«, sagte Norris zu Anfang unseres Gesprächs. »Wir fungieren über Gebühr als Problemlöser für unsere Kinder. Wir eilen herbei, räumen die Stolpersteine auf dem Lebensweg weg und nehmen unseren Kindern die Möglichkeit, sich durch Schwierigkeiten hindurchzuarbeiten und auf der anderen Seite mit der Erfahrung herauszukommen, dass sie ein Problem gelöst haben und es wieder tun können.«
Bei meinen Gesprächen mit Pädagogen und Beratungslehrern höre ich hauptsächlich die Klage, dass Eltern immer »Ausreden für ihre Kinder parat haben«, wie es der Schulpolizist Tim Guibault formulierte. Dieses Phänomen, dass Eltern beim Problemlösen eingreifen, ist eine Hauptkomponente der Helikopter-Erziehung, wie ich im letzten Kapitel dargestellt habe. Helikopter-Eltern sind dafür bekannt, ihre Kinder mehrmals am Tag auf dem Handy anzurufen, selbst wenn diese schon aufs College gehen oder noch älter
sind. In allen Einzelheiten nehmen sie Stellung zu den Herausforderungen und Problemen ihrer Kinder. Auch wenn Eltern (und Kinder) vielleicht glauben, es sei eine Tugend, sich für ein Kind einzusetzen, übertreiben Helikopter-Eltern ihr Engagement doch in schädlicher Weise, indem sie heranwachsenden Kindern die Chance rauben, aus Schwierigkeiten zu lernen.
Ein College-Professor berichtete mir, was ein erfahrener und geachteter stellvertretender Dekan erlebt hatte, der seine Studenten regelmäßig bei der Auswahl ihrer Kurse beriet. Als dieser Mann mit einem Studenten im letzten Studienjahr über einige seiner Kurse sprach, holte dieser sein Mobiltelefon heraus und sagte: »Papa, der Typ hier meint, ich solle diesen Kurs belegen. Was hältst du davon?« Derselbe Professor berichtete mir auch von Eltern, die an den Berufsberatungsterminen der College-Studenten teilnehmen wollten.
Natürlich sind Helikopter-Eltern fürsorglich und voller guter Absichten. Sie gehen davon aus, dass ihre Einmischung ihre Kinder schützt und junge Erwach sene hervorbringt, die besser gebildet und besser darauf vorbereitet sind, sich den Anforderungen eines verantwortungsvollen Lebens zu stellen. Doch dem ist nicht so. Wenn Eltern übermäßig Probleme lösen, hindern sie ihre Kinder in Wirklichkeit an der Erfahrung, Entscheidungen zu treffen, zu scheitern und das, was sie angerichtet haben, wieder in Ordnung zu bringen. 2 Ihnen wird eine wichtige Grundlage des Selbstvertrauens und der Selbstachtung entzogen: mit Schwierigkeiten
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