Wenn Eltern es zu gut meinen
»Ich bin okay, du bist okay«-Erziehung gibt dem individuellen Selbst der Kinder zu viel Aufmerksamkeit und Zuwendung, ohne bei den Kindern das Bewusstsein und die Fähigkeiten auszubilden, die sie brauchen, um sich in die Hierarchie der Welt einzufügen: autonom zu werden, aktive Mitglieder einer Gruppe zu sein und sich in Gemeinsinn zu üben. Paradoxer- und traurigerweise beraubt die »Ich bin okay, du bist okay«-Erziehung heranwachsende Kinder vieler wesentlicher Vorteile, die die Babyboomer von ihren Eltern empfingen. Und doch wird jeder Versuch, zur Vergangenheit zurückzukehren und auf traditio nelle Erziehungsstile zurückzugreifen, die Situation, mit der wir jetzt konfrontiert sind, nicht korrigieren. Frühere Erziehungsstile erkannten nicht die zentrale Bedeutung der Beziehung in der menschlichen Entwicklung, insbesondere der Art von Beziehung, durch die Kinder lernen, emotionale Intelligenz und Einfühlungsvermögen für andere zu entwickeln. Und früher besaß man auch nicht die heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Entwicklung des Gehirns und die Herausforderungen, die Kinder in jedem neuen Entwicklungsstadium
meistern müssen. Während die traditionelle Erziehung Kinder auf die Autonomie vorbereitete, indem man sie zu verschiedenen Aufgaben und Pflichten heranzog und darauf bestand, dass sie sich mit ihren Fehlern und Misserfolgen auseinandersetzten, fehlte dieser Erziehung eine kritische Erkenntnis dessen, was man für die Autonomie braucht und wie sie sich im Laufe des Lebens weiterentwickelt.
Der von mir befürwortete Erziehungsstil - der auf Interdependenz und Autonomie fußt - beruht auf einer »Wir«- statt einer »Ich«- oder »Sie«-Philosophie, bewegt sich jedoch von der Gleichheit zwischen Eltern und Kindern wieder zu einem Verhältnis hin, in dem Eltern die Führungsrolle haben. Mein Ansatz betont auch die Bedeutung von Schwierigkeiten, die Notwendigkeit von Gewissen und Anstand, die Feinheiten der Selbstbestimmung und den Wert der Normalität. Ebenso werde ich die Rolle behandeln, die Religion und Spiritualität in unserem Leben und dem unserer Kinder spielen, und die Frage, wie wir zu einer tiefen und echten Liebe gelangen, die Familienbande und Freundschaften ein Leben lang aufrechterhalten kann. Ganz zum Schluss werden wir das Glück untersuchen - was es ist und was es nicht ist, und wie es durch eine neue Art von Selbstvertrauen kultiviert werden kann.
Jenen Lesern, die zurzeit Jugendliche und junge Erwachsene sind und nicht die Chance hatten, diese Art Selbstvertrauen von Grund auf zu entwickeln (obwohl sie bei der Schilderung einer Babyboomer-Kindheit vielleicht glasige Augen bekommen haben), werde ich den Weg zum Wiedereinstieg in die eigene Entwicklung weisen, bei dem sie die vergessenen Stärken der Vergangenheit integrieren können.
KAPITEL 3
Die Bedeutung von Schwierigkeiten
Selbstvertrauen ist ein wesentlicher Bestandteil eines verantwortungsvollen und befriedigenden Lebens und hilft uns, die Selbstwertfalle zu umgehen. Es bedeutet, dass wir an uns glauben und uns zutrauen, mit allem fertig zu werden, was auf uns zukommt, und angesichts einer Herausforderung adäquat zu reagieren. Diese Art von Selbstvertrauen wächst primär dadurch, dass wir Schwierigkeiten überwinden, womit ich Umstände oder Ereignisse meine, die nicht unseren Vorstellungen, Wünschen oder Idealen entsprechen - Dinge, die uns widerfahren, oder Probleme, mit denen wir konfrontiert werden. Selbstvertrauen wächst durch die Erfahrung, bei der wir unsere Stärken und Schwächen tatsächlich kennenlernen. Obwohl realistisches Lob und Ermutigung vonseiten unserer Eltern und von Menschen, die älter sind als wir, helfen können, unser Vertrauen zu stärken, können sie uns keines liefern.
Wie im letzten Kapitel deutlich wurde, gewann ich selbst enormes Selbstvertrauen durch die Feststellung, dass ich imstande war, Geld zu verdienen, soziale Kontakte zu pflegen und meine eigenen Ziele zu erreichen, während ich noch zur Schule ging und als Jugendliche bei meinen Eltern wohnte. Das frühe Vertrauen zu mir selbst entwickelte sich dadurch, dass ich die vielen an mich gestellten Anforderungen erfüllte. Vielleicht hatten
Sie beim Lesen meiner Kindheitsschilderungen den Eindruck, dass meine Eltern zu streng waren, dass ich von ihren konstanten Streitigkeiten traumatisiert gewesen sein musste, durch meine Herkunft aus der Arbeiterschicht benachteiligt war und vermutlich unter Stress litt, weil ich als
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