Wenn Eltern es zu gut meinen
ihm Ärger zu ersparen, werden sie selbst zum Problem. Selbst Vorschulkinder lernen aus schwierigen Erfahrungen - bei denen das Leben nicht den Idealen und Wünschen entspricht - etwas über ihre eigenen Stärken und Grenzen. Solche Erfahrungen vereiteln unrealistische Vorstellungen, dass man die vollkommene Kontrolle darüber haben kann, was das Leben uns bringt. Die heutigen Kinder und jungen Erwachsenen lernen diese Lektionen nicht, weil ihre »Ich bin okay, du bist okay«-Eltern es nicht zulassen.
Einige junge Erwachsene, wie beispielsweise Jason, glauben, sie seien in der Kindheit außergewöhnlich gut und klug gewesen und hätten nie jemandem wirkliche Probleme bereitet. In der Rückschau sehen sie sich unausweichlich als so etwas wie »perfekt« oder »annähernd perfekt«. Wenn ich sie frage, wie sie diszipliniert wurden oder was ihre Eltern wütend machte, sagen sie: »Sie hatten über nichts zu klagen. Ich habe alles getan, was von mir erwartet wurde, und mehr. Ich bin nie in Schwierigkeiten geraten und habe nur minimale Fehler gemacht.«
Diesen Eindruck hat auch Erin von sich als Kind. Sie ist mittlerweile 25 - eine attraktive, etwas scheue, schlanke, blonde Frau mit sehr sympathischen Manieren. Obwohl sie sehr zufrieden war, zum Magister studiengang zugelassen zu werden und sich auf das Studium freute, ist sie nicht glücklich. Sie kommt nicht
mit ihrer Mentorin zurecht und weiß nicht, ob sie weitermachen soll, was sie stattdessen tun könnte und ob sie überhaupt an der Ostküste wohnen will. Erin ist an der Westküste aufgewachsen und bezeichnet ihre Kindheit als ideal. »Ich bin einfach groß geworden, und alles lief sehr, sehr glatt in der Highschool. Ich hatte niemals jugendliche Lebensangst oder etwas dergleichen. Es war eigentlich eine traumhafte Entwicklung.« Nachdem sie das College abgeschlossen hatte, änderten sich die Dinge. Erin war bereit zu einem Interview mit mir, weil sie den Eindruck hatte, dass das richtige Leben nach dem Abschluss »erdrückend und entmutigend war«, und weil sie nicht verstehen konnte, warum es ihr an Selbstvertrauen fehlte, was die Zukunft anging. »Ich glaube, ich habe nach dem Modell funktioniert, dass man alles schon können sollte. In meiner Kindheit und Jugend war alles sehr strukturiert und klar. Man konnte einfach Leistungen bringen und die Aufgaben ausführen, die Menschen einem auftrugen. Plötzlich muss man selbst Entscheidungen treffen, und man hat eine gewisse unterschwellige Erwartung, dass man bereits alles können sollte.«
Einer ihrer ersten Jobs nach dem College-Abschluss war, sechs Monate auf einem Segelboot auszuhelfen. Die Art und Weise, wie man dort mit ihr umging, gefiel ihr nicht. »Ich hatte eine andere Vorstellung davon, worin meine Rolle bestand. Ich dachte, der Lernprozess würde viel schneller oder mehr wie in der Schule vonstatten gehen: Man geht hin, bekommt klare Vor gaben und erwirbt die Fertigkeiten, die man braucht, um die Aufgaben zu bewältigen. Stattdessen war alles mehrdeutig bei dem, was mit den Leuten und der Ausrüstung an Bord lief. Ich hatte nichts zu sagen und war
darauf angewiesen, von anderen Leuten richtig angeleitet zu werden.« Erin hatte einen leichten emotionalen Zusammenbruch und geriet in die Selbstwertfalle. »Meine übliche Strategie, Fragen zu stellen und schnell kompetent sein zu wollen, funktionierte nicht, und die Diskrepanz zwischen dem, was ich mir dachte oder vorstellte, und was der Realität entsprach, war ungeheuer. Es ließ mich sogar zögern, etwas Neues auszuprobieren.«
Als sie mit ihrem Magisterstudium an der Universität begann, glaubte Erin, es würde anders sein und ihre Erwartungen würden erfüllt. Aber sie stellte fest, dass ihre Mentorin nicht ständig oder so hilfreich war, wie es eine Mentorin ihrer Meinung nach sein sollte. Schließlich trennte sie sich von ihrer Mentorin und versuchte, sich jemand anderen aus einer anderen Abteilung innerhalb des Fachbereichs zu suchen. Sie fand niemanden, der ihren Wünschen zu entsprechen schien, und ist jetzt sehr unglücklich und frustriert.
Noch nicht einmal ganz in der rauen Wirklichkeit angekommen - schließlich sind ein Aushilfsjob und das Magisterstudium immer noch eine mehr oder minder geschützte Umgebung -, ist Erin bereits verwirrt und unsicher, was ihre Einstellungen und Normen betrifft. Juristisch eine Erwachsene, fühlt sie sich emotional oft mehr wie ein Kind, unfähig, effektiv mit den kleinen Stößen des Lebens umzugehen, wobei
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