Wenn Eltern es zu gut meinen
gehen. 17
In den Geschichten, die die amerikanischen Schüler schrieben, drückten sich negative Gefühle gegenüber Eltern und Lehrern aus, die von dem Jungen Leistungen forderten oder ihn sogar manipulierten, während in den Geschichten der japanischen Schüler der Junge selbst die Geige beherrschen wollte. Er achtete seine Lehrer und Eltern dafür, dass sie ihm halfen, doch die treibende Kraft bildeten seine eigene Beharrlichkeit und sein Fleiß.
Nicht oft bringen wir Tugenden und innere Stärken mit Kreativität und Selbstbestimmung in Verbindung, aber wie sich herausstellt, sind sie notwendig, damit diese beiden anderen Fähigkeiten sich entfalten können. Und das liegt nicht nur daran, dass wir durch den Erwerb von inneren Stärken besser wissen, was wir wählen sollten, sondern auch, dass wir die Entwicklungsprozesse meistern können, die für unseren Erfolg wichtig sind. Peterson und Seligman führen die Geschichte eines berühmten Jugendlichen an, die von Fleiß und Geduld handelt: des 16-jährigen John D. Rockefeller, der im Sommer 1855 auf Arbeitssuche war.
Nachdem er einen dreimonatigen Buchhaltungskurs absolviert hatte, stellte der ehrgeizige junge Rockefeller, ein armer Jugendlicher aus der Arbeiterschicht in Cleveland, eine Liste der Firmen zusammen, die seine Dienste gebrauchen könnten. Es gab viele Firmen, die zur Auswahl standen, und im heißen Sommer wanderte Rockefeller in Anzug und Krawatte wochenlang zu Fuß von einer Firma zur anderen. Er wurde überall abgewiesen. Statt sich jedoch von der Niederlage entmutigen zu lassen, fing er wieder von vorn an, wurde noch einmal bei jeder Firma vorstellig, die ihn abgelehnt hatte, und bat um ein erneutes Gespräch. Schließlich erhielt er eine Anstellung bei einer Versandfirma. Rockefellers Beharrlichkeit zahlte sich in seinem ganzen Leben aus; er wurde einer der reichsten und mächtigsten Geschäftsmänner der Welt. 18 Viele der heutigen jungen Erwachsenen hätten gern einen solchen Erfolg und behaupten vielleicht auch, dass sie sich die inneren Stärken und den guten Charakter wünschen, die dazu notwendig sind. Und doch empfindet die heutige Jugend einen Druck, Abkürzungen durch Schummeln und Lügen zu nehmen, ohne zu erkennen, dass die Abkürzungen sie in Wirklichkeit an dem Erwerb der inneren Stärken sowie der notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten hindern.
Wie Anspruchsdenken mit Schummeln und Lügen einhergeht
Selbst junge Erwachsene beschweren sich über das Anspruchsdenken ihrer Generation, oft über diejenigen, die nur ein paar Jahre jünger sind als sie selbst. Ich
sprach mit dem 31-jährigen Kyle, der in Seattle in der Software-Industrie arbeitet, über seine Ansichten von seiner Generation. »Viele Kinder wurden von ihren Eltern so maßlos verwöhnt, dass ihre Erwartungen an die Welt sich in keiner Weise mit dem decken, was wirklich möglich ist«, sagte er und drückte damit seine Enttäuschung über seine eigene und die jüngere Generation aus. »Das wird durch die Medien, das Fernsehen, das Kino und selbst durch unser pädagogisches und psychologisches System noch verstärkt. Es scheint keinen Raum für negative Erfahrungen zu geben, nicht einmal für Schmerz. Meine Altersgenossen fürchten sich vor einer Depression wie vor der Pest, weil man ihnen beigebracht hat, dass irgendetwas nicht stimmt, wenn sie nicht brillante Leistungen bringen und völlig selbstsicher sind.«
Als ich Kyle fragte, welche Rolle moralische oder ethische Werte bei diesem Problem spielen, sagte er: »Leute in meinem Alter begrenzen Ethik meist auf Identität oder Selbstbestimmung. Wir fordern beispielsweise Fairness im Umgang mit Leuten anderer sexueller Orientierung oder anderer Rassenzugehörigkeit. Das ist in Ordnung, aber man braucht mehr, um ein moralischer Mensch zu sein. Wir sollten anderen nicht schaden, in welcher Weise auch immer. Das scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Die Goldene Regel und die Zehn Gebote scheinen für viele Schnee von gestern zu sein. An ihre Stelle ist das Interesse an allerlei mythischen oder stereotypen Figuren getreten [aus Filmen, Rollenspielen und Videospielen], die nicht sehr viel ethische Bedeutung besitzen.« Kyle war auch der Meinung, dass seine Altersgenossen in Beziehungen und bei Tests vermutlich mehr schummeln als die
Generationen davor. Seiner Ansicht nach geht dieses Schummeln Hand in Hand mit Ladendiebstahl und Lügen, weil »junge Menschen heutzutage denken, dass man ihnen etwas schuldet , selbst wenn
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