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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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sie es sich nicht verdient haben. Lügen ist so verbreitet, dass es mir schwerfällt, zu sagen, was wahr und was unwahr ist, wenn meine Freunde von ihren Leistungen reden.«
    Kleine Kinder glauben in aller Unschuld und Selbstverständlichkeit, dass sie anderen keinen Schaden zufügen, wenn sie mit ihren Leistungen übertreiben oder versuchen, ihre Fehler zuzudecken. Erst nach einer langen Phase des Reifens sind Kinder imstande, das eigentliche Problem beim Lügen zu erkennen: dass es die sozialen Strukturen zerstört und unser gegensei tiges Vertrauen untergräbt. Wie der berühmte Entwicklungspsychologe Jean Piaget herausfand, haben Kinder Schwierigkeiten damit, die Tragweite des Lügens zu erkennen. Im Alter von drei oder vier Jahren versteht ein Kind unter einer Lüge ein »böses Wort« und verwechselt Lügen mit anderen »bösen Wörtern«, wie zum Beispiel Schimpfwörtern, für die es von Erwachsenen möglicherweise bestraft oder getadelt wird. Piaget schreibt in seinem Buch Das moralische Urteil beim Kinde aus dem Jahre 1965 :
    Das Kind, das von Natur dazu neigt, mehr für sich als für die anderen zu denken, sieht die wahre Tragweite des Betrugs nicht. Es lügt, wie es fabuliert. Die ihm durch den Zwang des Erwachsenen auferlegte Verpflichtung, nicht zu lügen, erscheint ihm daher von ihrer äußerlichsten Seite [als] … unabhängig von den Absichten des Subjekts. 19
    Eine fortgeschrittenere Definition der Lüge entwickelt sich ungefähr zwischen dem sechsten und zehnten Le bensjahr: Eine Lüge besteht darin, etwas zu sagen, was nicht der Wahrheit entspricht. Diese Definition scheint einen Aspekt der Absichtlichkeit zu beinhalten; wir sagen etwas, wovon wir wissen, dass es nicht stimmt. Doch auch wenn diese Definition eine erwachsene Sicht auszudrücken scheint, weist Piaget eindringlich darauf hin, dass die meisten Kinder weiterhin Lügen und Fehler verwechseln. Selbst wenn Kinder vielleicht den Unterschied zwischen Fehlern und eigentlichen Lügen erkennen, verschmelzen in der Denkweise des Kindes Fehler oft mit Lügen. Ein siebenjähriges Kind könnte beispielsweise sagen, dass eine unwahre Aussage »eine Lüge und ein Fehler« ist. Die Verwechslung von Lüge und Fehler beginnt um das achte Lebensjahr herum zu verschwinden; dennoch ist Kindern die soziale Bedeutung des Lügens weiterhin unklar, bis sie etwa elf sind. Dann sind sie alt genug, um zu verstehen, dass eine Lüge eine Absicht beinhaltet und das Vertrauen eines anderen in unsere Worte zerstört.
    Erst beim Übergang in das Erwachsenenalter (un gefähr im Alter von 19 oder 20 Jahren) verfügt ein Mensch jedoch über die volle intellektuelle und emotionale Reife, um zu begreifen, wie und warum Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit zu Wohlbefinden und Kompetenz im Leben beitragen. 20 Diese Reife stellt sich nicht von selbst oder durch biologische Prozesse ein. Sie muss ausgebildet werden. Piaget betont die Bedeutung der Kooperation mit anderen bei der Entwicklung eines reifen Gewissens. Wenn wir teilen und zusammenarbeiten, beginnen wir zu lernen, dass es auch unserem Ich zugute kommt, anderen zu helfen
und ehrlich zu sein. Manchmal haben junge Menschen der Generation Ich diese Lektionen noch nicht gelernt, wenn sie aufs College kommen. Das Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit und die Selbstwertfalle können ein für ihr Alter unreifes moralisches Verhalten zur Folge haben.

Der Wert der Authentizität
    Mehrere College-Professoren äußerten sich über die Generation Ich ähnlich wie Kyle. Studenten stellen Erfolgsansprüche und wollen greifbare Resultate, ganz gleich, wie sie zustande kommen. »Meine Studenten haben unglaublich ausgeprägte Konsumentenansprüche«, sagt Gigi Marks, eine Professorin, die hauptsächlich kreatives Schreiben am Ithaca College in Upstate New York lehrt. 21 Da sie Studenten oft bittet, über sich selbst zu schreiben, hat sie einen einzigartigen Einblick in deren persönliche Welt.
    »In den letzten fünf Jahren habe ich eine Veränderung in der Art festgestellt, wie Studenten, besonders Studentinnen, gute Noten dafür fordern, dass sie ihre Studiengebühren bezahlen und ihre Hausaufgaben machen. Früher wäre es zu peinlich gewesen, bei einem Professor vor der Tür zu stehen und eine bessere Note zu verlangen, aber das hat sich geändert. Es gibt kein Empfinden mehr dafür, dass man sich eine Note verdienen muss. Wenn man bezahlt und die Arbeit er ledigt hat, erwartet man eine gute Note.« Professor Marks hat den Eindruck,

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