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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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einer Zeit der ganz natürlichen intensiven Egozentrik und des Egoismus. Wenn sich unser Gehirn in der Pubertät zu verändern beginnt, trifft die Identität, die wir in unserer Kindheit ausgebildet haben - die Gefühle und Vorstellungen, die wir von uns selbst haben -, auf eine große Dosis von Ich-Bewusstheit.
    Um das elfte Lebensjahr herum erlangt die Fähigkeit eines Kindes, Entscheidungen für sich zu treffen,
mit Veränderungen in der Entwicklung des Gehirns eine neue Reifestufe. 2 Das ist für Eltern ein entscheidender Augenblick, um aufzuhören, sich in altersan gemessene persönliche Entscheidungen ihrer Kinder einzumischen. Kinder sollten ihre eigenen Entscheidungen treffen und sich direkt mit den Folgen ausei nandersetzen, wenn es darum geht, ihre Hausaufgaben rechtzeitig zu erledigen, für Prüfungen zu lernen oder einen Streit mit Freunden beizulegen. Auf all diesen Gebieten müssen Eltern ihren Kindern erlauben, sich vorübergehend schlecht zu fühlen und über sich nachzudenken, wenn die Dinge nicht nach ihren Wünschen verlaufen. Für die »Ich bin okay, du bist okay«-Eltern heißt das, die mitfühlende Frustration, Qual oder Angst auszuhalten, die die negativen Gefühle der Kinder in ihnen auslösen. Von einem reifen Standpunkt aus können die Eltern die Situation objektiv betrachten und erkennen, dass die Konfrontation mit Schwierigkeiten zum Aufwachsen gehört. Misserfolge und Missgeschicke lehren uns etwas über uns und die Welt: wie andere uns sehen und was wir erwarten können. Am Ende der Pubertät sollte die Autonomie eines Kindes beinhalten, dass es (ohne elterliche Einmischung) für sämtliche Folgen von schlechten schulischen Leistungen, Abschreiben und Schummeln, sozialen Schwierig keiten, illegalem Drogen- und Alkoholkonsum und kleineren Ladendiebstählen geradesteht - die typischen Probleme, die »Ich bin okay, du bist okay«-Eltern versuchen, aus dem Weg zu räumen oder zu vertuschen. Wenn Erwachsene nicht für die Kinder einspringen, selbst wenn Probleme da sind, hat das am Ende eine positive Wirkung auf das keimende Selbstver trauen der Heranwachsenden und ihre Fähigkeit, mit
der Wirklichkeit einer unvollkommenen Welt umzu gehen.
    Ich habe schon darauf hingewiesen, dass wöchent liche Familienkonferenzen (an denen im Idealfall alle teilnehmen sollten, die im Haushalt leben, selbst wenn es sich nicht um biologische Verwandte handelt) einen Ort der Begegnung schaffen, an dem Kinder am Beispiel der Erwachsenen Hierarchie, Ehrlichkeit, Mitgefühl und Interdependenz erleben und von ihnen vermittelt bekommen können. Konferenzen sind ein guter Ort, um die Probleme und Misserfolge jedes Einzelnen zu besprechen, wie auch die Konflikte und Aufgaben, die alle bei der gemeinsamen Lebensführung teilen. Familienkonferenzen sollten in einer Atmosphäre statt finden, in der allen klar ist, dass es hilfreich und nicht beschämend ist, über persönliche Grenzen und Fehler zu sprechen.
    Erwachsene können mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie ansprechen, was sie gerade beschäftigt, und andere in der Familie um eventuelle Vorschläge bitten. Auch wenn Eltern sich vor allem in das Befinden der Kinder einfühlen sollten, anstatt ihre Probleme zu lösen, können Eltern, ältere Geschwister oder andere Ältere von ihren Erfahrungen berichten, wenn ein Kind die andern konkret um Empfehlungen oder Ratschläge im Umgang mit einem Problem bittet.
    Natürlich ist es ein Merkmal von Teenagern, beson ders jungen, zu glauben, alles drehe sich um sie und jeder beobachte nur sie. Das wird sich nie ändern, denn es ist in unserer Biologie verankert. 3 Was sich jedoch geändert hat, ist die Reaktion Erwachsener auf diese Art von Ich-Zentriertheit. Als ich aufwuchs, sagte meine Mutter Sätze wie »Beruhige dich, du siehst prima
aus«, wenn ich ein Kompliment hören wollte oder mir über mein Aussehen Sorgen machte. »Schönheit kommt von innen« oder »Du kannst dein Licht nicht unter den Scheffel stellen« gehörten zu den Sprüchen, die heranwachsende Babyboomer von ihren Eltern zu hören bekamen, wenn sie um ihre Intelligenz oder ihr Aussehen besorgt waren. Diese Sprüche implizieren, dass Bescheidenheit und Anstand wichtiger sind, als an der Spitze zu stehen. Viele Kinder und junge Erwachsene in der heutigen Zeit wüssten nicht, was sie mit solchen Sprüchen anfangen sollten, außer vielleicht beleidigt zu sein. Die heutige Generation begeht den Fehler zu glauben, dass Status, Selbstbezogenheit,

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