Wenn Eltern es zu gut meinen
Haus, lag den ganzen Tag weinend im Bett und beharrte darauf, dass ihr Leben hoffnungslos sei, wenn Andrew ihr nicht die unbedingte Treue schwor. Nachdem Cathy ihn sexuell wiederholt zurückgewiesen hatte, fand Andrew schließlich heraus, dass sie eine Affäre hatte. Er drang auf ein Ende, aber sie behauptete, dass die Affäre bedeutungslos war und sie in Wirklichkeit
Andrew liebte. Außerordentlich gedemütigt und außer sich, dass sie die Affäre fortsetzte und nicht mehr mit ihm schlafen wollte, blieb Andrew noch eine Weile in Paris und versuchte sich einzureden, dass Cathys Affäre nichts mit ihrer beider Beziehung zu tun hatte.
Trotz seiner Beschämung fühlte er sich noch mehrere Jahre an Cathy gebunden, selbst nachdem er in die USA zurückgekehrt war und die Therapie angefangen hatte. Als sein Therapeut seinem eigenen Ärger auf Cathy Ausdruck gab, weil sie Andrew so schlecht behandelt hatte, war Andrew erschüttert. Er hatte seine Wut vergessen, die sich hinter der Scham verborgen hatte. Ziemlich lange war er völlig unfähig gewesen, Cathys Verhalten Grenzen zu setzen, obwohl ihm voll und ganz klar war, dass sie ihn manipulierte.
Scham ist das Empfinden oder der Glaube, dass etwas mit dem eigenen Ich nicht stimmt, etwas unvollkommen ist oder fehlt. Eindeutig verschieden von Schuld (dem Wissen, dass wir falsch gehandelt haben und die Dinge in Ordnung bringen können, indem wir richtig handeln), kann Scham eine Negativspirale in Gang setzen, die uns handlungsunfähig macht, weil wir glauben, unser Ich sei fundamental unvollkommen - und daher seien wir nicht imstande, das zu tun, was von uns verlangt oder erwartet wird. Diese Un fähigkeit, zu handeln, liefert den Beweis, dass tatsächlich etwas mit uns nicht stimmt, was oft den Wunsch nach sich zieht, sich zu verstecken, zu verschwinden oder zu sterben. In einem solchen Fall stellt ein Psychiater möglicherweise die Diagnose Depression und verschreibt ein Antidepressivum, wie es bei Andrew geschehen war.
Durch seine Therapie begann Andrew, sich autonomer
zu fühlen. Er entdeckte seine Scham und Versa gensangst - und seine Weigerung, seine eigene Wut zu benutzen, um sich zu schützen und im Leben voranzukommen. Er begann seiner Fähigkeit zu vertrauen, gute Entscheidungen zu treffen und zu ihnen zu stehen, selbst wenn sie sein Leben kurzfristig schwieriger machten. Es gelang ihm, mit Cathy Schluss zu machen und schließlich eine gesündere Beziehung einzugehen. Er stellte auch fest, dass hinter seinem Problem, einen Beruf zu finden, eine Verwechslung von Arbeit und Freizeit stand. Die Einsicht, dass Arbeit dem Zweck diente, Geld zu verdienen, öffnete Andrew die Augen. Er hatte als Erwachsener wiederholt finanzielle Unterstützung von seinem wohlhabenden Vater erhalten. Diese Zuwendungen verstärkten bloß seine Scham und seine Verwirrung, was seine beruflichen Wünsche und Möglichkeiten anging.
Andrew war sich viele Jahre lang unsicher gewesen, wie er eigenständig handeln und das tun sollte, was man von einem Erwachsenen erwartete. Nach vier Jahren intensiver Psychotherapie schreibt er:
Ich hatte immer das Problem, mich davor zu fürchten, dass Menschen mich kritisieren und meine Schwäche und Minderwertigkeit erkennen könnten. Ich habe Angst vor Frauen, davor, ihnen mein sexuelles Verlangen offen zu zeigen, mich zum Idioten zu machen, Risiken einzugehen, die mich in irgendeiner Weise für Kritik anfällig machen. In gewissem Maße habe ich einen Bogen um diese Ängste gemacht, statt mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Früher bin ich mit den Ängsten so umgegangen, dass ich mich ihretwegen bemitleidet habe und davon
ausgegangen bin, dass niemand sonst sie hat. Jetzt begreife ich, dass ich wie jeder andere auch einfach akzeptieren muss, dass diese Ängste existieren, und mich mit ihnen so gut wie möglich auseinandersetzen muss. 10
Mithilfe seines Therapeuten gelang es Andrew, sein Architekturstudium abzuschließen, in dem es in Gruppenbesprechungen viel Kritik hagelte, die für das Ego niederschmetternd war. »Das Architekturstudium verlangte von mir, Aufgaben rasch und effizient zu bewältigen, etwas, das mir immer sehr schwer gefallen war. Ich wurde gebeutelt von Minderwertigkeitsgefühlen im Vergleich zu anderen Studenten und in Bezug auf die Kritik, die reichlich ausgeteilt wurde.« 11
Vor der Therapie fehlte es Andrew an einer inneren Stimme, die es ihm erlaubte, seine eigene Arbeit im Hinblick auf das zu bewerten, was andere darüber sagten,
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