Wenn er mich findet, bin ich tot
hört nach den Ferien auf. Wenn wir dreißig Punkte schaffen, meldet uns Frau Huber für die vorgezogene Realschulprüfung im Herbst an. Aber das knicken wir gern«, sagt Paolo unschuldig.
Dreht der jetzt voll ab? Ja. Paolo stiert uns derart fordernd an, dass Kolja und ich schnell zustimmend nicken.
»Nein! Der Plan ist gut! Macht das unbedingt!« Der Chef betrachtet uns drei Streber total verknallt.
Mir wird klar, womit Paolo pokert: Der Chef braucht Zeit für sich und seine strapaziöse Fernbeziehungs-Uschi und wir für uns. Das geht astrein zusammen. Paolos Rede war eine vertrauensbildende Maßnahme.
»Ich hätte Riski wahnsinnig gern besucht«, sag ich.
19
Der Einbruch
»Ich hätte Riski auch wahnsinnig gern besucht«, zischt Kolja, als wir uns in unsere Wohnküche zurückziehen.
»Wir können nicht in Urlaub fahren«, sagt Paolo stur. »Beck muss seine Fernbeziehung pflegen. Und wenn sie nicht zu ihm kommt, muss er hin zu seiner Uschi.«
Das war zuerst nur Koljas Sprachgebrauch. Aber da der Chef uns den Namen der Zicke, die ihm in immer kürzeren Abständen die Laune versaut, nicht verrät, heißt sie unter uns offiziell so.
»Alter, du denkst nicht weit genug, als dass du auch für mich mitdenken könntest«, motzt Kolja. »Im Leben lässt uns der Chef nicht unbeaufsichtigt, keine Chance.«
Ich halte mich raus, bin in Gedanken woanders.
»Möglich, aber ich will alles über Alma Goedel, Victor Georg Goedel, die GDS, Julie Thompson und dieses Herrenhaus Flusshorst rauskriegen. Tilly muss sich auf die Prüfung konzentrieren. Und du wolltest die Prüfungsfragen beschaffen. Wie denn, wenn wir in Lappland abhängen?«
Kolja zu mir: »Was sagst du dazu?«
»Ich will auch alles wissen, und ich will mit, wenn du die Prüfungsunterlagen besorgst.«
»Oh, nein.«
»Oh, doch.«
»Das ist nichts für deine schwachen Nerven.«
»Schluss mit dem Scheiß. Ich bin zehnmal schneller und das zehnmal länger als ihr.«
»Das steht sowieso noch nicht an«, weicht Kolja aus.
»Kannst du mir deine Panikbücher leihen?«, fragt Paolo.
»Was? Nein! Spinnst du?«, raste ich aus. »Damit ihr über meine schwachen Nerven ablachen könnt oder was?«
»Nein, weil ich glaube, dass du keine Verfolgungswahnattacken hast. Ich glaub, du wirst verfolgt. Und das wahrscheinlich schon lange. Deshalb frag ich.«
»Die Bücher sind meine absolute Privatsache!«
BADABOOM, BADABOOM …
Schwache Nerven – kein Ausdruck! Ich hab noch Herzklopfen, als ich schon unter der Decke liege. Alles regt mich auf. Jedes meiner Haare erinnert sich an seine Lippen, an seine Hände. Paolos Augen sind so schwarz, ich könnte hineinfallen, leichter als in den Schlaf. Mein schwächelnder Zustand gefällt mir nicht. Aufgewühlt stiere ich schwarze Löcher in die Dunkelheit, während die neuen Informationen in meinem Hirn rotieren. Alma Goedel. Bin ich das? Ich kriege nicht mit, wie Paolo lautlos die Tür öffnet. Erst als er sie schließt, bemerke ich ihn. Ich kriege auch nicht mit, wie ich an die Wand rutsche und er in mein Bett kommt. Erst als ich mich an ihn ranzittere, realisiere ich, dass er da ist. Meine Hand unter seinem T-Shirt, seine Haut, bringt mich zur Vernunft.
»Keine gute Idee, Paolo. Ich bin nervlich am Tiefpunkt.«
»Pst. Ich will dich nur festhalten, bis du eingeschlafen bist.«
»Und dann kuckst du mich wochenlang wieder nicht an?«
»Ich kuck dich immer an.«
Tränen laufen mir übers Gesicht. »Kann es sein, dass du nur meine Nähe suchst, wenn ich echt am Arsch bin?«
»Tilly, hast du dir mal überlegt, dass es andersherum ist?«
»Hä?«
»Psst.«
»Mich macht das irre, echt. Für ein Komm-her-geh-weg-Spiel bin ich nicht geschaffen.«
»Ich auch nicht«, sagt er und hält mich fest. »Ich hab Angst um dich. Diese Geschichten sind so unfassbar grausam. Ich will dir beistehen.«
»Nicht nur du.« Sein Ständer drückt gegen meinen Schenkel.
»Der beruhigt sich wieder. Schlaf einfach ein.«
Ich bin so benommen, dass es wirkt. Ich schniefe in sein T-Shirt und schlaf in seinen Armen ein.
Als ich aufwache, bin ich allein und ausgeruht. Lange bevor der Bus fährt, laufe ich nach Rastkirch und nach der Schule zurück. In der folgenden Woche behalte ich das Training bei. Die Schule lenkt mich von Grübeleien ab. Paolo weicht meinem Blick nicht mehr aus. Bloß was Kolja vorhat, weiß ich nicht.
»Frau Huber, kann ich einen Aufsatz über ein historisches Bauwerk von Bad Stockbach schreiben? Seit unserem Eisbau-Projekt
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