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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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interessier ich mich für Architektur.«
    »Gute Idee. Und welches? Die Brauerei vom Gasthof Lamm ist sehr alt, das Rathaus und der Schuldturm auch. Vielleicht eins davon?«
    »Kann ich mich umsehen und mich dann entscheiden?«
    »Ab mit dir.« Frau Huber lächelt.
    »Alles klar, ab in die Brauerei!«
    »Prost, auf die Architektur!«
    Im Witzeln der Zurückgebliebenen klingt Neid mit. Doch Faulheit kann man Kolja und auch Paolo nicht vorwerfen, von mir ganz zu schweigen. Anwesend oder nicht, bis jetzt haben wir alle Übungen gemacht und abgegeben. Obwohl Kolja jeden Morgen mit uns im Bus sitzt, zieht er sich drei Tage lang aus dem Unterricht zurück.
    Der April ist weniger launisch als ich. Es wird wärmer und die Rennerei stabilisiert mich ansatzweise. Paolo und ich schlafen nachts in unseren eigenen Betten. Von seinen Recherchen über Goedel erzählt er nichts. Meine habe ich auf nach der Prüfung verschoben. Allein der Name bringt mich um die Fassung. Ich konzentriere mich verbissen auf den Schulstoff und mache Tagblatt-Besuche.
    »Du siehsch scho viel besser aus!«
    »Du auch.«
    Maria lacht. »Früher war i schöner.«
    Wir blättern in Alben. Ich stelle mir vor, sie wäre meine Großmutter, und nehme sie in den Arm.
    »Oh, Mädle, du bisch viel zu dünn.«
    »Du auch.«
    »I bin alt, aber du brauchsch Subschtanz.«
    PFLATSCH.
    Subschtanz in Form eines weiteren Schlags Sahne landet auf meinem Apfelkuchen.
    »Danke.« Sträuben ist beim Tagblatt sinnlos.
    Dann ratschen wir über dies und das. Tut in der Seele gut. Maria hat so eine Art, mit mir umzugehen, als hätte ich keine Fehler, obwohl sie mich mit Kuchen stopfen und beim Laufen bremsen will. Sie tut mir gut.
    »Deine Besuche tun mir richtig gut«, sagt Maria.
    »Du mir auch«, sag ich.
    »Tilly und ich gehen ins Kino«, kündigt Kolja an.
    Paolo rammt den Spaten bis zum Anschlag ins Beet, das wir im Beisein des Chefs umgraben.
    »Bist du endlich alle Mädchen nördlich der Alpen durch?«
    Ätzend, was ist los mit Paolo? Ein Rückfall? Das ist eine Beleidigung gegen mich! Ich bin doch nicht die Allerletzte!
    »Wir nehmen den Bus um vier«, sagt Kolja ungerührt.
    Es ist halb vier. Die Zeit vergeht langsam und wird von der Sonnenuhr angezeigt. Im Sommer werden wir auf diesem Acker unser selbst gezogenes Bio-Zeugs ernten. Jetzt ist die Zeit der Saat und Setzlinge. Der Chef hat endlose Bauernregeln zitiert.
    Alles in mir schreit nach Cola und Currywurst.
    Kolja, provokativ: »Tschüss, also dann, bis morgen.«
    Wir ziehen unsre Gummistiefel aus und ich frage ihn: »Was soll das, Kolja, du, ich, Kino?«
    »Zieh dich schwarz an, komm mit und frag nicht so viel.«
    In Bad Stockbach ist der Teufel los auf dem Marktplatz.

    Buden, Bierzelt, Blasmusik. Alle Stockbacher sind auf den Beinen. Ich hol mir Cola und Currywurst.
    »Das ist die älteste Freiwillige Feuerwehr in der Region.«
    »Donnerwetter.«
    »Nicht zynisch sein. Bald steigst du ins historische Bauwerk ein.«
    »Wieso holst du dir nicht da ein Bier, falls sie dir eins geben?« Ich zeig auf die Schlange vorm Ausschank.
    »Nicht in die Brauerei vom Lamm, oh nein, du brichst ins Rathaus ein. Wir holen uns die Prüfungsunterlagen.«
    Kein Mensch achtet auf mich, als ich hinter der Tanne in den Hecken verschwinde. »Jetzt geht’s los …«, spielt die Blaskapelle auf dem Markt. Auf Rindenmulch schleiche ich zwischen Rhododendren bis zur Mitte der historischen Rückseite des Rathauses. Nur falls sich jemand zum Scheißen hierher verzieht, kann man mich sehen. Aber das ist unwahrscheinlich, am Platz stehen jedeMenge Toilettenwagen. Das Fenster, in das ich einsteigen soll, liegt im ersten Stock. Der alte Festsaal im Erdgeschoss ist wahnsinnig hoch, aber das Gebäude ist in den Hang hineingebaut, das nimmt etwas von der Höhe weg. Trotzdem muss ich mindestens drei Meter an der Fassade hochklettern, deshalb hat mir Kolja den Vorzug gegeben. Die Ritzen zwischen den Sandsteinen sind winzig. Ausatmen, Knie durchdrücken, vorsichtig nach der nächsten Ritze tasten, nächster Zug. Beim sechsten verliere ich den Halt und lande nur zufällig auf den Füßen. Noch einmal: Beine anwinkeln, die Hände auf dem Sandstein und die Fingerspitzen suchen Halt in der Ritze, Gleichgewicht halten, ausatmen, Knie durchdrücken und Blick zum nächsten Griff. Systematisch ein Zug nach dem anderen, bis ich mich am Fenstersims festhalten kann. Unerwartet wahnsinnig schwierig ist es, das Fenster, das nicht abgeschlossen sein soll,

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