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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Blut, da ist keine Geschichte. Vor der Entlassung des Alten und meinem ersten Schlag ins Gesicht ist nichts.«
    Paolo zuckt zusammen. »Bilderfetzen hast du gesagt. Was meinst du damit?«
    Meine Panikbücher kann ich ihnen nicht zeigen. Ich überlege, was ich stattdessen sagen kann: »Nichts Konkretes. Ich will damit sagen, dass ich keine Oma habe. Keine Ahnen, keine Ahnung, keine Fußstapfen, in die ich treten kann oder soll. Ich versuche zu fühlen, ob da jemand vor mir da war, aber da ist niemand. Ich bin wie von einem anderen Stern, ein Findling.«
    »Findling, so ein Quatsch«, sagt Kolja. »Du bist kein Stein.«
    Er und Paolo sind sich einig: »Und du bist auch kein Alien, nur ein abnormaler Erdling. Unsre Obergestörte halt.«
    »Klar. Und wie geht die Tilly-Krah-Geschichte mit Pseudo-Ingo Feist zusammen? Und wie mit der Gesamtdeutschen Security? Mit den Schüssen und Sandras Tod?«, frage ich.
    »Alter«, Kolja wirft Paolo ein Kissen an den Kopf, »sag noch mal, dass wir nicht die drei Fragezeichen spielen.«
    Schneller, als Kolja damit gerechnet hat, fliegt das Kissen zurück: »Das hier ist kein Detektivspiel.«
    »Dann gib Pseudo-Tilly mal ’ne Antwort.«
    »Einen Moment bitte.«
    Paolo haut sich auf das Sofa, schließt die Augen und denkt. Er kann das, und er verblüfft mich immer wieder mit seiner Gabe, logisch und strukturiert zu denken, wenn mir absolut nichts mehr einfällt.
    »Wann hat Daniela dich gefunden?«
    »Am 25. April 2004.«
    »Da kann es nachts noch richtig kalt werden«, denkt Paolo laut. »Wie weit kommt ein circa sechsjähriges Mädchen allein durch Deutschland, ohne aufgegriffen zu werden?«
    »Wenn es Angst hat und schlau ist, maximal hundertzehn Kilometer«, sagt Kolja, als sei das ein Fakt, unbestreitbares statistisches Allgemeinwissen.
    »Und wie lange braucht es dafür?«
    »Maximal vier Wochen«, behauptet Kolja.
    »Wir suchen also nach einem Mädchen, das im Jahr 2004 vermisst gemeldet wurde. Finden wir mehrere, dann konzentrieren wir uns auf März und April und die Bundesländer Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Okay?«
    »Macht Sinn.« Kolja nickt.
    Paolo verlässt die Küche und setzt sich an den Computer.
    Ich schäme mich. Seit Jahren liste ich meine Albträume und Panikattacken auf. Wann, wo, warum ich umgekippt bin, vor Panik und Angst geschlottert und schier den Verstand verloren habe. Mit Skizzen, Bildern, Fotos. Meine mittlerweile fünf vollen Panikbücher sollen mir Antworten auf Fragen geben, die ich mir nicht stelle, weil ich viel zu blöd bin!
    »Nichts da, du bleibst da, Tilly.« Kolja ist mein Fluchtreflex nicht entgangen. »Wie soll ich dich jetzt eigentlich nennen?«
    Ich zupf das mit meinem Namen bestickte Leinentuch vom Quarkkuchen und lege es mir übers Gesicht. Sofort narkotisiert der im Stoff hängende Kuchenduft meine aufgewühlten Sinne.
    »Wann essen wir den auf?« Kolja meint den Kuchen.
    »Wenn er wieder da ist.« Ich meine Paolo.
    Kurz darauf ist er da. »Hast du das Verzeichnis mit den Leichenfunden?«, fragt Paolo.
    Er hat was gefunden, ich sehe es ihm an. »In meiner Bude.«
    Paolo imitiert die Stimme des Chefs: »Es hat also die Bibliothek verlassen. Hol’s her. Und du kochst Kakao, Kolja. Kapiert?«
    »Klar, Kommandant.«
    Ich verzieh mich und verstaue den Ordner IV . Nicht identifizierte Leichenfunde 2000–2010 vorsichtshalber in einer Jutetasche, falls der Chef wieder reinplatzt. Meine Panikbücher stecken im Rucksack. Sicherheitshalber nehme ich ihn auch mit in die Küche.
    Bei den Jungs kommen zwei Kuchenstücke auf maximal vierfachen Gabeleinsatz. Runtergespült wird die Masse mit einem halben Liter Kakao pro Kerl.
    Ich muss zusehen, wie ich zu meinen Nährstoffen komme.
    Paolo: »Auf, wir gehen spazieren.«
    Widerrede ist zwecklos.
    Kolja unternimmt einen müden Versuch: »Wie lange willst du noch den Chef raushängen lassen?«
    »Bis wir an einer internationalen Universität studieren, in etwa.«
    »Wo wollt ihr hin?« Der echte Chef schleift einen alten Stuhl ab. »Ich hab eben überlegt, wir könnten in die Stadt fahren und ins Kino gehen«, protestiert er.
    »Gute Idee«, sagt Paolo. »Morgen? Heute müssen wir was Schulisches besprechen.«
    »Und Tilly braucht Auslauf. Die macht uns irre«, sagt Kolja, als wäre ich ein Hund.
    Wir gehen zur alten Buche außerhalb von Lauterstetten und setzen uns auf die Bank. Nähert sich jemand, kann man das schon Minuten vorher sehen.
    »Du kippst nicht um«, sagt

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