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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Käsebrot.«
    Wir mampfen durch bis Ostbahnhof, steigen um und werden am Bahnhof Lübben abgeholt.
    »Bonjour, je m’appelle Barbara Bigot, je suis votre Professeur du Français.«
    Sie sieht uns erwartungsvoll an.
    »Hallo, ich bin Barbara Bigot, eure Französischlehrerin.«
    Uns hat’s erst mal die Sprache verschlagen. Pause.
    »Hallo«, sag ich. »Ich bin Tilly Krah.«
    »Dis-le en français. Sag es auf Französisch.« Sie lächelt.
    »Bonjour«, sag ich. »Je suis Tilly Krah.«
    »Hallo«, sagt Kolja. »Je suis Kolja Jäger.«
    »Hallo, je suis Paolo Motta.«
    Stille breitet sich aus. Wir haben vergessen, dass wir zum Französischlernen hergekommen sind.
    »In zwei Wochen werden wir uns sehr gut unterhalten können.« Bigot geht davon aus, dass wir uns dann auch noch was zu sagen haben, und lächelt uns aufmunternd an.
    Wir quetschen uns hinten ins Auto. Flach fliegt der Landstrich an uns vorbei, saftig grün und wasserreich.
    Die Fahrt endet an einem einsam gelegenen Gebäude, dessen Architektur nichts verrät. Es könnte alles da drin sein: Chemielabor, Tierversuchsanstalt, Puff, Sportlerheim. Über dem Portal steht quasi als Schattenriss der Vergangenheit: FDGB -Erholungsheim Lise Meitner .
    Das gefällt mir. Wir kriegen ein Dreierzimmer. Das gefällt mir nicht.
    »Il me faut Privatsphäre«, sage ich zu Bigot. 
    Sie korrigiert mich. »J’ai besoin d’une vie privée.« 
    Tja, Pech gehabt. Privatsphäre war im Erholungsheim noch nie vorgesehen.
    Festgeleimt bleibe ich in der Tür zum Speisesaal stehen. Binnen einer Nanosekunde stelle ich fest, dass die Jugendlichen an den beiden großen Tischen eine andere Gen-Struktur haben als ich. Sie checken mich ab. Ihre Blicke sinken in einem Tempo an mir entlang nach unten, in der Zeit hätten sie eine Nordmann-Tanne einscannen können. Sie sehen frisiert aus, ich nicht. Sie sehen gebügelt aus, ich luftgetrocknet. Sie strahlen aseptische Frische aus, ich Moder, Moos, Flechten. Aus luftiger Höhe herab lässt Paolo seinen Gangsterblick auf ihnen ruhen. Und Kolja macht, dass die Mädchen verlegen wegsehen.
    Wie? Keine Ahnung.
    Wir setzen uns neben das gluckernde Aquarium an den kleinen Tisch. Der Raum hat den nüchternen Charme einer Werkskantine.
    »Seid ihr eine Gruppe?«, fragt Paolo den großen Tisch und speziell ein Mädchen mit langen honigblonden Haaren.
    »Dis-le en Français«, leiert es aus mehreren Mündern, auch dem der Honigblonden, zu uns herüber.
    In dem kurzen Blick, den wir untereinander austauschen, loten wir die Lichtjahre aus, die uns von den beiden großen Tischen trennen.
    Bigot erklärt uns auf Deutsch, dass zwei zehnte Klassen des Internats Schloss Weihenstein kompakt und intensiv Versäumtes aufholen.
    Schlosschüler in diesem volksnahen Ambiente? Das Sport- & Sprachcamp muss für sie eine vergleichbare Strafaktion sein, wie es für uns das Bootcamp im Eis war. Verstohlen zähle ich fünfzehn Schlossschüler und atme auf, als Bigot erklärt, dass wir unseren Unterricht separat erhalten.
    »Après le dîner on va tous faire du jogging.«
    Ich schieb den Teller weg. Ich esse nicht vorm Laufen.
    »A 19 heures, d’accord?« Bigot ignoriert die verdrehten Augen am großen Tisch.
    Wir reagieren nicht. Das heißt, ich reagiere nicht. Zwischen Paolo, Kolja und den frischen Mädchen fliegen Blicke wie magische Pfeile hin und her.
    Grob überschlagen betragen die Ausgaben für die Sportklamotten und Laufschuhe der Schlossschüler vor der Tür fünftausend Euro. Ich übertreibe nicht. Alles vom Feinsten und Teuersten.
    Bigot zeigt uns die fünf Kilometer lange Route, und wir traben los. Vorne ziehen ein paar Sportskanonen das Tempo an. Paolo und Kolja sind es nicht, die halten sich im Zentrum des Mädchenblocks auf.
    GACKGACKGACK …
    Ich weiß, es ist blöd, aber ich muss nach vorne und den vier Muskelheinis mit Föhnfrisur zeigen, wo ihr Platz ist.
    »Doucement«, ruft mir Bigot hinterher. »Langsam!«
    Ich höre Paolo und Kolja kichern.
    »Laufen wir ’n Rennen?«, frag ich die Typen an der Spitze.
    Die lachen.
    »Hundert Euro für den Schnellsten?«, schlag ich vor.
    Begeisterte Zustimmung.
    »Hast du so viel Taschengeld mit?«, fragt ein Skeptiker.
    Nicht unberechtigt. Hab ich nicht. Noch nicht. Ich zieh ab, gebe ihnen Zeit, mich von hinten zu betrachten. Dann zeig ich mich aus weiter Ferne, dass sie nicht behaupten können, ich hätte abgekürzt. Erst als der große Bogen abgeschlossen ist und es zwei Kilometer direkt aufs Erholungsheim

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