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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Ich werde auf ihn aufpassen. Ich werde ihn und Kolja nicht aus den Augen lassen. Goedels Tage sindgezählt, wenn er auch nur versucht, ihnen ein Haar zu krümmen.
    In dieser Nacht kommt Kolja nicht zurück.
    Der Chef rastet aus. »Sein Handy ist abgestellt. Also frage ich euch, wo ist er?«
    Ich sterbe vor Angst um Kolja und kämpfe mit den Tränen. »Wenn du dich so aufregst, mach ich mir auch Sorgen.«
    »Das ist doch Quatsch! Kolja ist über sechzehn, was soll sein? Der ist bei ’ner Freundin oder macht Party.« Paolo versteht überhaupt nicht, wieso ich mich so aufrege.
    Wütend holt sich der Chef ein Glas aus der Vitrine und entkorkt die Schnapsflasche.
    Ich renne nach oben, schließ mich ein und zieh mein Bett vors Fenster. Zu viel Gewalt und Hass für einen Tag.
    Stunden später wache ich davon auf, dass jemand ständig den Türgriff auf- und abbewegt. Ein blässlicher Lichtstreifen trennt in der Ferne den Himmel von den Feldern. 05:17.
    »Kolja pennt im alten Festsaal und wartet, dass ihm der Bürgermeister von Bad Stockbach die Tür aufschließt«, flüstert Paolo.
    Ich kapier gar nichts. Er kriecht zu mir ins Bett und nimmt mich in den Arm. »Kolja hat unsre Prüfungsaufgaben geholt. Es geht ihm gut. Er hat ’ne SMS geschickt.«
    »Danke«, flüstere ich. »Danke.«
    Die Kirchenglocken läuten. Schlag zehn knattert Kolja mit der Vespa in den Hof und läuft dem Chef voll ins Messer. Paolo poltert die Treppe runter. Ich hinterher.
    »Wo warst du?«, fragt der Chef gefährlich leise.
    »Wir haben gefeiert und in der Kegelhöhle übernachtet. Ich wollte dich anrufen, aber mein Handy war platt.«
    »Gib her!« Der Chef streckt seine Hand nach Koljas Rucksack aus.
    Kolja wirft mir einen flackernden Blick zu, während der Chef bereits einen Satz Fotokopien aus der Tasche zieht.
    »Du blöder Arsch, wir haben uns Sorgen gemacht. Und du haust über Nacht mit meinen Übungsblättern ab!«, schluchze ich und habe ECHTE Tränen in den Augen.
    Ich nehme dem Chef die Blätter aus der Hand und sehe bei meinem dramatischen Abgang aus den Augenwinkeln, wie Kolja seine Hosentaschen nach außen stülpt und in der Unschuldsgeste verharrt, weil der Chef in seiner Tasche nichts Verdächtiges finden wird, außer ein paar Kondomen, Zahnputztabletten, Deo, Kamm, paar Euro, Schlüssel, Stifte, Schreibblock und Taschenmesser.
    Sein Spezialwerkzeug zum Türenöffnen ist nie im Rucksack. Das hab ich mehrmals überprüft, weil ich damit üben wollte. Zur Strafe muss Kolja für eine Woche die Vespa-Schlüssel abgeben. Der Arme.
    »Ich bin sehr enttäuscht von dir«, sagt der Chef.
    »Ich liebe dich, Dicker«, sagt Paolo, als wir weit genug weg sind.
    »Ich auch«, sage ich.
    Soll sich angesprochen fühlen, wer will. Es ist wahr.
    In der folgenden Woche denkt keiner von uns an einen Ausflug mit der Vespa. Wie die Blöden lernen wir Fragen und Antworten der Prüfung auswendig. Wir essen imStehen. Der Küchentisch ist komplett mit Büchern und Papieren bedeckt. Zum Glück straft uns der Chef mit Schweigen und kommt nicht zu uns herauf. Ich verlasse nur noch zum Laufen das Haus, was für mich jetzt offiziell zu den Prüfungsvorbereitungen gehört.
    »Tilly!«
    »Muss mich umziehen, Chef.«
    »Was ist los mit euch?«
    »Was ist los mit dir?«
    »Ich kriege euch nicht mehr zu Gesicht.«
    »Ich hab mir mein Leben auch nicht so lernintensiv vorgestellt. Ist es aber, wenn wir die Prüfung schaffen wollen. Dein Punkt A  – vom untersten Sozialhilfesatz leben  – ist nicht das, wovon wir träumen. Und dann strafst du uns auch noch ab. Das kapier ich nicht.«
    »Und wovon träumst du?«
    »Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit für alle, Liebe und Glück.« Glaub nicht, dass ich was vergessen habe.
    »Tilly, du bist unrealistisch.«
    »Das muss ich von dir haben.«
    Ich sitze auf meiner Fensterbank und sehe hinaus. Seit Minuten fliegt das Laub konstant von unten nach oben. Von wegen Schwerkraft! Ich kichere leise. Das Laub fliegt vom Boden hoch, tanzt durch die Luft, macht einen eleganten Schlenker um die Dachrinne herum und fliegt über das Haus auf und davon. Nicht ein einziges Blatt fällt zu Boden, seit Minuten nicht. Wunderbar, die Welt ist auf den Kopf gestellt. Ich, Tilly Krah, habe die Mittlere Reife!
    Unsere Zeugnisse sind bombastisch ausgefallen. Der Schnitt liegt zwischen 1,2 und 1,4. Der Chef dreht durchvor Stolz. Bratendüfte ziehen durchs Haus. Er kocht ein Festmahl für uns. Er und die Jungs trinken Bier.
    »Ihr seid großartig. Ich

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