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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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zusammen ihre Küche, trinken Kakao, plaudern und essen Apfelkuchen. Ich stecke mit den altertümlichen Haarnadeln ihre losen Haare am Hinterkopf fest.
    »Soll i sie abschneiden?«, fragt Maria.
    »Nein!«
    Sie sind schneeweiß und fein. Morgens fummelt Maria sie zu einem Nest zusammen und plagt sich damit ab.
    »Wann sind sie das letzte Mal geschnitten worden?«
    »Warte mal«, sie überlegt, »da war i zwölf, also vor siebzig Jahren. Jetzt hätt i gern so eine Frisur wie du.«
    Nicht schon wieder! »Dann färb ich mir meine weiß.«
    Doch Maria ist es ernst und ich schneide ihr die Haare. Kinnlang mit Pony und Mittelscheitel. Es steht ihr, sie sieht wunderschön aus und leuchtet mich aus ihren blauen Augen an.
    Ich stecke ihre abgeschnittenen Haare in einen Umschlag. »Das sind Zauberhaare. Ich knüpf mir eine Kette daraus, und bei jedem Knoten kann ich mir was wünschen.«
    Maria kichert: »Zauberhaare, soso. Und deine Wünsche gehen dann in Erfüllung?«
    »Ja.«
    »Wie viele hoscht du denn?«
    Ich sag: »Drei.«
    »I bin a Fee!« Maria kann sich vor Lachen kaum beruhigen.
    »Genau«, sag ich.
    »Schneide du drei Haar von dir ab. Du bisch nämlich auch a Fee. Und i hätte da auch noch drei offene Wünsche.«
    So sitzen wir beieinander und zaubern. Dann hole ich das Alma-Marter-Material aus dem Keller.
    In den folgenden Wochen lernen wir. Ich klebe ein Zauberhaar von Maria in mein Panikbuch und verstecke es so gut, dass ich es selbst nicht auf Anhieb wiederfinde. Ich krieg Panik und denke: Er hat’s gefunden! Jetzt weiß er Bescheid. Er geht zur Polizei und schreibt darüber, dann weiß es die ganze Welt und Goedel bringt Paolo, Kolja und Maria um.
    Wir reden nicht mit dem Chef und er nicht mit uns. Er führt Interviews. Mit dem Aufnahmegerät platzt er in die Küche. »Stör ich?«
    Kolja: »Ja.«
    »Ich kann später wiederkommen.«
    »Wozu?«
    »Ich will euch ein paar Fragen stellen.«
    »Du willst ein Interview mit uns machen?«, fragt Paolo.
    Der Chef reagiert nicht auf die Wut, die in Paolos Stimme mitschwingt, vielleicht hört er auch nicht richtig zu. »Ja. Für mein Buch.«
    »Ohne mich!« Paolo rastet aus. »Der Scheiß soll da ruhen, wo er ist, und arrivederci, auf zu neuen Ufern! Daran arbeite ich!«
    Ich sage nichts, aber Kolja kann sich nicht zurückhalten. Seine Lippen sind weiß. »Ich rackere mich wie ein Idiot für eine Perspektive ab, die nicht von vornherein durch das ruiniert ist, was mir mein Vater jahrelang angetan hat. Ich komme in deinem Buch nicht vor, Chef. Das verstehst du sicherlich.«
    »Ihr wisst doch gar nicht, was ich fragen will?«
    Paolo: »Was sind eure ersten Erinnerungen? Wie war eure Kindheit? Warum habt ihr geklaut, gedealt, habt die Schule geschwänzt, seid irgendwo eingebrochen? Wann seid ihr das erste Mal von der Polizei aufgegriffen worden? Fragen dieser Art?«
    »Es geht auch um unser gemeinsames Leben.«
    »Wenn jemand meinen Namen googelt, stößt er auf dein Interview und auf meine Geschichte! Hältst du das für ’ne gute Idee?«, fragt Kolja.
    »Eure Namen werden geändert.«
    »Super! Sehr mysteriös. Kein Mensch wird wissen, wer die drei Jugendlichen aus dem Buch des hervorragenden Sozialpädagogen Michael Beck aus Lauterstetten sind.« Paolos Stimme trieft vor Hohn.
    Der Chef ist verletzt. Er presst den Mund zusammen.
    QUIETSCH. Die Tür knallt. Der Rahmen zittert.
    Die folgende Stille wird vom rauschenden Wasserhahn unterbrochen. Paolo füllt sich ein Glas und trinkt es wie ein Verdurstender auf ex leer. »Der hat sich total in sein Buchprojekt verbissen. Der wird seinen Blödsinn schreiben, ob wir nun protestieren oder nicht. Wir sind ihm egal. Was sagst du?« Er fragt mich.
    »Keine Freundin, keine Kollegen. Er führt das einsame Leben eines Autors auf dem Land, und dann ziehen sich auch noch seine Zöglinge vor ihm zurück.« Ich sehe ihn an. »Es wird hart und sehr unangenehm für uns werden.«
    Kolja nickt. »Wir hauen ab. Ist doch sinnlos, unseren alten Dreck zu beseitigen, wenn er sich öffentlich damit schmücken will!«
    Ich will nicht abhauen. Noch nicht. »Die Wochen, bis wir zu Riski fahren, können wir doch weitermachen wie bisher.«
    »Und dann?« Paolos Wut ist Ratlosigkeit und Trauer gewichen. Er wirkt müde.
    Es versetzt mir einen Stich, ihn so verletzt zu sehen. »Wir bauen uns in aller Ruhe eine komplett neue Identität auf«, schlag ich vor. »Neue Namen, Papiere, neue Geschichten, ein neues Leben und ein super Abiturzeugnis. Dann nehmen

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