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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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ratlos.
    »Willst du raus?«, fragt er blöd.
    »Ja, zu Maria.«
    »Wo ist Paolo?«
    »Will sich ein Buch besorgen, der Streber.«
    »Na dann, bis später.« Er verzieht sich.
    Der Chef ist zum Schnüffeln gekommen. Und er will sein Pädagogikbuch über UNS schreiben!
    Meinen glühenden Wunsch nach Anonymität kann ich an den Nagel hängen. Alles, wofür ich geackert habe, war sinnlos, für die Katz. Ich kann hier nicht bleiben. Und das Alma-Marter-Material und die Panikbücher müssen auch sofort raus hier und in Sicherheit gebracht werden. Ich packe alles in den Rucksack, ziehe wasserdichte Stiefel an und eine Jacke über und stolpere die Oberstraße runter zu Maria.
    »Wenn du was verstecken müsstest, was kein Mensch finden darf, wo würdest du das hintun?«
    Maria überlegt. »Gib’s mir.«
    »Du bist neugierig.«
    »Geh in’n Keller runter. Such dir einen Platz und versteck’s. Da isch’s vor mir und vor allen anderen auch sicher.«
    Ich suche, bis ich eine Stelle finde, wo auch ich mir sicher bin. Als ich wieder raufkomme, hat sie einen Kakao gemacht.
    »Ich bin also die Hüterin deines großen Geheimnisses«, sagt sie und lächelt.
    »Ja, Maria«, sage ich ernst.
    Sie streichelt mir über den Kopf.
    »Isch’s so schlimm?«
    Ich weine. Hab keine Kraft mehr.
    Ja.

III. Teil
Polarkreis

29
Krise
    Unser sensibles Gefüge kracht zusammen, das Klima verschärft sich. Im November ist die Stimmung im Haus am Gefrierpunkt. Der Chef war der erste Erwachsene, zu dem wir Vertrauen hatten. Jetzt liegt es in Trümmern. Bisher hat er sich nicht um unsren Kram gekümmert, plötzlich schnüffelt er uns nach. Wir sehen seine Selbstüberschätzung, die ihn glauben lässt, wir seien an seinem Geist genesen. Dabei haben wir das Chaos, das andere vor uns und an uns angerichtet haben, selbst überwunden, oder versuchen es zumindest.
    »Ich kann mich nicht auf den Scheiß konzentrieren.« Frustriert schiebt Paolo den Wust an Informationsmaterial zur gymnasialen Oberstufe weg.
    Eigentlich hatten wir vor, das Gesamtpaket der Kurse, Pflicht- und Wahlfächer in übersichtliche Lernschritte zu unterteilen, in Listen zum Abhaken. Weitermachen im Sinne von Wissen anhäufen und vergessen. Und damit das Vergessen nicht vor der Zeit den Hirninhalt löscht, wollten wir die Fächer nach Neigung unter uns verteilen und uns gegenseitig damit füttern. Blödsinn, das alles. Wir sind total durcheinander. Unser pseudofleißiges Herumsitzen in unserer verdammten Lernküche kommt uns sinnlos vor.
    »Immerhin, die Mittlere Reife haben wir.«
    Vielleicht will Kolja tröstende Worte fallen lassen. Ich finde, »das klingt wie mittlere Katastrophe oder ein bisschen schwanger .«
    »Schüchterner Steifer«, reimt Paolo weiter.
    »Aufhören, depperter Rapper.« Kolja schüttelt sich und erstarrt mitten in der Bewegung. Unten knallt die Tür. »Wo geht er hin? Nimmt er’s Auto?«
    Wir lauschen, und als der Chef vom Hof fährt, stürzen wir die Treppen runter und schnüffeln in seinen Unterlagen.

    Kapitel 1: EPM  – Die Maßnahme
    Kapitel 2: Tilly Krah, Kolja Jäger, Paolo Motta
    Kapitel 3: Pädagogisches Konzept
    Kapitel 4: Anfangsphase in Lauterstetten
    Kapitel 5: Schulische Entwicklung
    KOTZ!
    Mangels Unterlagen notiert der Chef die Fakten aus dem Gedächtnis, was uns noch katastrophaler, gestörter und krimineller dastehen lässt, als die traurigen Tatsachen es hergeben.
    Kolja liest vor: »Paolo Motta, ab dem zwölften Lebensjahr dreimalige Unterbringung in Sicherungsverwahrung, viermalige Unterbringung in Erziehungsanstalten …«
    Paolo, scharf: »Hör auf.« Er versucht, ein handschriftliches Beobachtungsprotokoll zu entziffern. »Er schreibt auf, was wir machen! Mit Uhrzeit!«
    »Stellt er einen Zusammenhang zwischen uns und den verschwundenen Akten her?«, frage ich leise.
    »Das nehme ich an«, sagt Kolja und wühlt in den Papieren.
    »Glaubst du, er würde mich für Geld an Goedel verraten?« Panik wabert hoch.
    »Ich trau ihm alles zu«, sagt Kolja. Er kocht vor Wut. »Am besten wär’s, die ganze Bude abzufackeln.«
    Stattdessen räumen wir hinter uns auf und hinterlassen alles so, wie wir es vorgefunden haben.
    »Tilly«, sagt Paolo eindringlich. »Du darfst nicht wieder paranoid werden. Wir müssen ihn im Auge behalten und unser Ding machen. Er hat keine Macht über uns.«
    Leichter gesagt als getan. Ich muss dringend schreiben und brauch sofort mein Panikbuch!
    »Ich geh zum Tagblatt.«
    Die Ruhe bei Maria tut mir gut. Wir putzen

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