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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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bin sehr stolz auf euch. Prost!«
    Mein Tässchen selbst gezogener Zitronenmelissentee dampft. »Prost.«
    »Ich würde euch gerne eine Freude machen. Habt ihr einen Wunsch?«
    Ich will weg, aber das trau ich mich in der Stimmung nicht rauszuhauen. »Eine Reise?«, formuliere ich vorsichtig.
    »Ich will lieber, dass wir für das Abi in zwei Jahren büffeln.«
    »Spinnst du jetzt total!« Nur die Spätzle in meinem Mund verhindern, dass ich so laut bin, wie ich will. Was das Schulische anbelangt, hat Paolo einen unmenschlichen Zug drauf. Ohne mich.
    Vom Chef kriegt er natürlich die volle Unterstützung. »Mit dem Zeugnis könnte ich euch auf dem Gymnasium anmelden.«
    »Nein danke«, protestiere ich.
    »Das hier hat so gut geklappt, weil wir selbstbestimmt lernen. Schule ist echt nichts für mich«, sagt Kolja. Zum Glück.
    »Aber vielleicht könntet ihr unter Anleitung zielgerichteter lernen«, überlegt der Chef.
    Noch zielgerichteter als wir lernen, geht nicht.
    Paolo lenkt ab. »Ich wünsche mir einen gemeinsamen Theaterbesuch. Der ›Faust‹ wird dermaßen gut besprochen und ich war noch nie im Theater.«
    »Faust! Was soll denn der Scheiß? Ich komm von der Straße und nicht aus Oxford!« Paolo macht mich fertig.
    »In zwei Jahren kommen meine Brüder vielleicht aus dem Knast und an meinem achtzehnten Geburtstag läuft die Zeit beim Chef ab. Da will ich das Abi in der Tasche haben und an der Uni eingeschrieben sein. Weit weg vom Zugriff meiner Brüder. Klar?«
    Der Chef verschluckt sich vor Begeisterung. »Paolo …« Hust, hust. »Ich halte das für eine ausgesprochen kluge Haltung. Auf jeden Fall werde ich dich unterstützen.«
    »Deswegen müssen wir doch nicht zur Belohnung für unser Superzeugnis im Theater vergammeln. Faust!«
    »Der Pakt mit dem Teufel. Müsste doch interessant für dich sein?«, sagt Paolo.
    Er spricht von ihm, Goedel. Mir vergeht der Appetit. Es kommt mir auf einmal vor, als säße er mit uns am Tisch und würde mich ansehen. Ich bin das Gespenst seiner Schuld und geistere durch seine Ängste, weil er mich noch nicht beseitigt hat. Ich hab viel zu verlieren, mein Leben, meine Freunde, und ich hab eine Rechnung offen.
    Zwei Rechnungen.
    »Lassen wir das Thema ruhen. Prost, Tilly, auf dich.«
    Ich heb meine Teetasse.
    »Was soll ich denn mit der Anfrage von der Deutschen Schulsportstiftung machen?«
    »Wegschmeißen.«
    »Jugend trainiert für Olympia. Deine Ergebnisse waren sensationell …«
    »Ich trainier mit Riski. Ich will ihn besuchen.« Kein Bock auf Druck und Gelaber. Ich will hoch, meine Ruhe haben, was lesen.
    »Wenn es Schnee hat? Über Weihnachten vielleicht?«
    »Von mir aus«, sage ich.
    Zum Glück reitet der Chef nicht länger auf der Sportstipendiumsache herum. Er sollte sich eine neue Freundin suchen. Uns ist nicht entgangen, dass unser Lerneifer auf ihn übergegangen ist. Er tippt neuerdings. Viel, laut und demonstrativ.
    »Was schreibst du?«, fragt Kolja.
    »Freut mich, dass du fragst.« Der Chef lächelt zufrieden und verkündigt: »Ich schreibe ein Buch.«
    »Über was?« Paolo tut sich zum dritten Mal auf.
    »Pädagogik.«
    »Mir wird schlecht.« Ich leite schon mal meinen Abgang ein.
    »Weil ich über Pädagogik schreibe?«, fragt der Chef.
    Oje, jetzt bezieht er schon alles auf sich! »Nein, ich habe meine Regel.«
    Draußen ist es kalt. Es regnet seit Tagen. Ich werde häuslich, und deshalb kriege ich das Telefonat vom Chef mit Stefan Tonberg mit.
    »Wann ist die Geschäftsstelle besetzt?« Der Chef ist in der Bibliothek, die Tür ist angelehnt. Seine Stimme klingt ungeduldig und von seinen Worten verstehe ich Akten, Chaos, Praktikant, Recherche, peinlich. »Das darf nicht wahr sein!« Letzteres gebrüllt.
    Ich stehe flach an der Wand vor der angelehnten Tür. Der Chef telefoniert mit Jugendämtern, die ihm nicht helfen können bei seinem Wunsch nach Material über uns. »Ja, ich weiß, dass die Akten September letzten Jahres an die EPM-Geschäftsstelle weitergeleitet worden sind, aber Sie müssen doch im Archiv …« Pause. Der Chef, laut, zu sich: »Idioten! Das gibt’s doch nicht!« Ein lauterSchlag, hört sich an wie eine Faust auf dem Tisch, dann Schritte.
    Ich bin weg. Meine Zimmertür kriege ich hinter mir so schnell nicht zu. Ich stelle mich einfach vor den Schuhschrank. Als er in mein Zimmer platzt und wir uns gegenüberstehen – unerwartet, unangeklopft – ist er so baff wie ich.
    »Was soll man bei dem Scheißwetter bloß anziehen?«, frag ich

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