Wenn es daemmert
gewesen und hatte nur für die üblichen Phrasen gereicht. »Kann so nicht weitermachen … Tut mir leid … Will niemandem Probleme machen … Gott möge mir verzeihen …«
Gott, dachte Cedric. Als ob.
Das tote Mädchen interessierte ihn zwar nicht mehr, aber um ganz sicherzugehen, öffnete er das Foto, das der Redakteur mitgeschickt hatte.
Er kannte das Mädchen. Er wusste im ersten Moment nicht, woher. Allein, dass er sie zu kennen glaubte, verwirrte ihn. Cedric stand von seinem Schreibtisch auf und ging unruhig im Raum hin und her. Dieses Gesicht, dachte er. Nicht nur das Gesicht, auch wie es fotografiert war.
Das war es. Er kannte nicht das Mädchen, er kannte das Foto. Von der Au-pair-Agentur, über die sein Vater Pepa gefunden hatte.
Cedric ging auf die Seite, deren Adresse ihm Pepa gegeben hatte.
»Dein Vater«, hatte sie gesagt.
Was war mit seinem Vater?
Das Gesicht des toten Mädchens war das aktuelle Werbefoto der Agentur. Diesmal sah er sich mehr als nur die Startseite an. Die Mädchen waren nach Nationalitäten geordnet. Man erfuhr ihre Größe und ihr Gewicht und konnte sich Porträts und Ganzkörperfotos ansehen.
Zwei Dinge waren es, die ihn störten: Sie kamen alle aus Osteuropa. Und die Fotos waren Profiaufnahmen.
Es fehlten nur noch Nacktfotos. Aber auch ohne diese wirkte das Ganze mehr wie eine Kontaktbörse.
Er sah sich die Länder an: Rumänien, Polen, Estland, Lettland, Litauen. Alles EU -Länder. Er suchte Pepa. Ging auf »Rumänien« und sah sich die Fotos der Mädchen an. Fand ihr Foto und fragte sich: Warum sollte sie hier noch aufgelistet sein? Sie ist schon vermittelt worden. Das tote Mädchen war ebenfalls aufgelistet. Es konnte natürlich sein, dass die Seite nicht regelmäßig gepflegt wurde, aber Cedric glaubte nicht daran. Last update, las er am unteren Bildrand. Das Datum von gestern.
Er klickte weiter und kam zu einem Mitgliederbereich. Man musste mit der Agentur Kontakt aufnehmen, um ein Passwort zu bekommen.
»Dein Vater«, hatte Pepa gesagt. Sie hatte ihm diese Adresse nicht für seinen Vater mitgegeben, sondern wegen seines Vaters. Cedric gab die E-Mail-Adresse seines Vaters ein, natürlich seine private, die nur wenige Auserwählte kannten. Als Nächstes wurde er nach dem Passwort gefragt. Cedric klickte auf »Passwort vergessen?«, und die Sicherheitsfrage erschien: »Wie heißt die Straße, in der Sie als Kind aufgewachsen sind?« Cedric tippte »Eaton Square« ein und wurde weitergeleitet. Die Webseite präsentierte sich nun völlig anders.
Mädchen in Bikinis, Reizwäsche, nackt, Latex, Ballettröckchen. Junge Männer in aufreizenden Posen. Und minderjährige Knaben. Als er in das Gesicht eines Zehnjährigen starrte, der als Zwei-Wochen-Angebot zu Verfügung stand – Herkunft: Ukraine; besondere Eigenschaften: schöne Singstimme und spielt Flöte –, hätte er fast den Browser geschlossen. Dann entschied er, sich erst noch Pepas Profil anzusehen. Er wollte nur eines wissen: wie alt sie war.
Die Fotos zeigten Pepa im Lolita-Stil: Sie trug eine Art Schuluniform, deren Rock bestenfalls eine Hand breit war. Die Bluse war weit genug aufgeknöpft, um einen roten BH zu zeigen, und die Haare waren zu Zöpfen geflochten. Man hatte ihr einen großen Lolli gegeben, an dem sie leckte. Ihr Alter war mit fünfzehn angegeben. »Besondere Eigenschaften: sehr reinlich, hilft gerne im Haushalt, geht je nach Styling für 12 bis 20 durch. Herkunft: Transnistrien (Moldawien).« Hatte sie nicht gesagt, sie sei aus Rumänien? Vielleicht ein Fehler. »Verfügbarkeit: auch als Langzeitangebot bis zu sechs Monaten möglich.«
Er hatte genug gesehen. Er schloss den Browser und verfluchte seinen Erzeuger.
Warum sein Vater?
Er würde nachsehen, ob ein Kontakt angegeben war. Er wollte alles über diese Agentur wissen. Doch als er den Browser wieder startete und die Adresse eingab, passierte nichts. Vielleicht stimmte etwas nicht mit der Verbindung. Er klickte auf die Startseite des Scottish Independent und sah dort die Schlagzeile: »Rumänisches Au-pair begeht Selbstmord an Küste von Fife«. Darunter das Foto des Mädchens, dasselbe, das ihm der Redakteur geschickt hatte. An der Internetverbindung lag es nicht. Er ging zurück auf die Seite der Agentur – immer noch nichts. Und dann verstand Cedric: Jemand hatte die Seite aus dem Netz genommen. Wer auch immer dahintersteckte, er musste den Artikel gelesen und darauf reagiert haben. Wahrscheinlich
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