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Wenn es daemmert

Wenn es daemmert

Titel: Wenn es daemmert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Beck
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sie kein einziges Mal anfassen.
    Er war so ein guter Mann.

1.
    Mina beobachtete ihn, wie er beide Hände vor den Mund hielt und angestrengt regelmäßig und tief atmete.
    »Besser?«, fragte sie nach einer Weile.
    Er nickte, war aber immer noch kalkweiß.
    »Hast du das immer?«
    Cedric hob die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Ich kann mich nicht einmal erinnern, wann ich zuletzt Bus gefahren bin.«
    »Denk dran, wir hätten sonst kein Geld«, ermahnte sie ihn, bevor er wieder davon anfing, dass er niemals seinen Mercedes hätte weggeben dürfen. »Es ist doch selbstverständlich, dass Hopkirk eine Sicherheit braucht, wenn wir uns schon Geld von ihm leihen.«
    Mina zog den Ausdruck des Routenplaners aus ihrer Handtasche und versuchte, sich zu orientieren. »Siehst du, es ist gar nicht so weit. Wir können laufen, dann bist du noch ein wenig an der frischen Luft und kannst dich erholen.«
    Sie gingen vom Busbahnhof in Kirkcaldy etwa zehn Minuten, bis sie bei der Adresse angelangt waren, die James Cunningham ihr geschickt hatte. Die Adresse der Mutter eines Mörders.
    Eine Rampe war über die beiden Treppenstufen gelegt, die zur Eingangstür des Hauses führten. Das Gebäude hatte eine Fassade aus hässlichem grauen Waschbeton, wie alle Häuser in der Straße, aber der kleine Vorgarten sah aus, als kümmere sich hin und wieder jemand um ihn.
    Mina klopfte an die Tür. Sie mussten nicht lange warten. »Die Tür ist offen!«, rief eine Stimme. Harriet Docherty erwartete sie bereits.
    Mina und Cedric traten in einen dunklen Flur. Die Tür zum Vorderzimmer stand offen. »Kommen Sie, ich habe Tee und Plätzchen, das ist Ihnen doch recht? Ich habe mich so gefreut über Ihren Anruf! Sie haben mich im Telefonbuch gefunden, nicht wahr? Ach, ich bekomme nur noch so selten Besuch. Alle legen sich immer nur ins Krankenhaus oder sterben, aber das ist wohl so in meinem Alter.«
    Harriet Docherty wirkte winzig in ihrem Rollstuhl. Sie war über achtzig, sah aber auf den ersten Blick noch älter aus, da ihre Haut so faltig war wie die eines vertrockneten Apfels. Ihr feines weißes Haar war kurz geschnitten, und ihr dünner, knochiger Körper steckte in heller, sportlicher Kleidung. Mina wusste nicht, ob ihr die Sachen einmal gepasst hatten und sie seitdem zwei Kleidergrößen abgenommen hatte oder ob sie ihr einfach jemand in der falschen Größe gekauft hatte. Doch als die Frau die beiden anlächelte, veränderte sich alles: Aus ihren Augen strahlte es, und nichts um sie herum wirkte mehr zu groß. Für einen winzigen Augenblick war ein Fenster in die Vergangenheit aufgestoßen, und man sah, dass sie einmal eine schöne Frau gewesen war.
    »Sie hätten sich nicht so eine Mühe machen dürfen«, schimpfte Mina und deutete auf Tee und Plätzchen.
    »Unsinn«, sagte Mrs Docherty. »Sie glauben doch wohl nicht, dass ich das selbst gemacht habe. Ich habe eine Haushaltshilfe.«
    Als hätte sie auf ihr Stichwort gewartet, kam eine propere Fünfzigjährige herein und fragte: »Brauchen Sie noch etwas? Sonst gehe ich einkaufen.« Mrs Docherty brauchte nichts mehr, und so ließ sie die drei alleine.
    »Sie sind also eine Großnichte von meinem Albert«, sagte Mrs Docherty mit einem Lächeln. »Nach fünfzig Jahren darf ich endlich jemanden aus seiner Verwandtschaft kennenlernen. Sie müssen wissen, sein Bruder Roland war immer ein schwieriges Thema.«
    »Ich wusste nicht einmal, dass Roland einen Bruder hatte«, erwiderte Mina. »Bis heute. Meine Mutter hatte kein besonders gutes Verhältnis zu ihrem Vater, deshalb kenne ich meine Verwandtschaft auch kaum.«
    »Aber Roland ist jetzt tot, sagten Sie am Telefon?«
    Mina nickte. »Letzte Woche.«
    »Ich sage nicht, dass es mir leidtut, auch wenn es Ihr Großvater war, denn ich kannte nur die Geschichten über ihn, die mein Mann mir erzählt hat. Tut es Ihnen leid, dass er tot ist?« Es klang nicht gehässig oder böse, wie sie es sagte, nur interessiert.
    Mina zuckte die Schultern. »Er war der Vater meiner Mutter, und sie hat sehr gelitten, weil sie nie zueinander gefunden haben. Es tut mir um sie leid.«
    »Und der junge Mann hier ist Ihr … Freund?«, fragte Mrs Docherty neugierig. Cedric wurde rot und öffnete den Mund, aber es kamen keine Worte. Deshalb antwortete Mina: » Ein   Freund. Mrs Docherty, wir sind beide daran interessiert, Ihren Sohn zu finden, um mit ihm … zu sprechen.«
    »Oh, Arthur ist nicht   mein   Sohn«, sagte Harriet Docherty, »und bitte nennen Sie mich

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