Wenn es daemmert
Platz genommen hatten. Die Fahrgäste, die nach ihm eingestiegen waren, schoben ihn erbarmungslos tiefer in das Abteil hinein, und der Zug war bereits losgefahren, bevor Cedric es sich anders überlegen konnte. Er war gefangen zwischen ein paar langhaarigen Jugendlichen mit Heavy-Metal-Shirts und großen schwarzen Gitarrenkoffern und einer Familie mit zwei kleinen, Schokolade essenden Kindern. Der Vater, ein aknenarbiger, rothaariger Mann mittleren Alters, starrte Cedric finster an und hörte auch nicht auf, als Cedric irritiert zurückstarrte. Man konnte sich nirgendwo festhalten, sodass niemand wirklich still stand und Cedric ständig gegen irgendjemanden stieß. Keine zwei Minuten dauerte es, und ihm stand der Schweiß auf der Stirn, weil er um Fassung rang, um nicht schreiend Amok zu laufen. Er konzentrierte sich auf die Regentropfen, die an den Zugfenstern herunterliefen, und bemühte sich, so wenig wie möglich zu atmen.
»Cedric! Nein, mach das nicht!«, rief die Frau, die zu dem rothaarigen, grimmigen Mann gehörte, und Cedric sah sie mit offenem Mund an, bis er verstand, dass sie ihren Sohn meinte. Der etwa dreijährige, dickliche, weißblonde Junge saß zu seinen Füßen, Gesicht und Hände waren mit Schokolade beschmiert. Er strahlte Cedric verzückt an.
»Entschuldigung, Sir, das macht er sonst nie«, sagte die Frau, und nun meinte sie wirklich Cedric. Ihre Entschuldigung zusammen mit dem höflichen »Sir« klang gestelzt, als würde sie sonst nie so sprechen. Er sah sie fragend an, sie deutete auf sein Hosenbein. Der kleine Cedric hatte es mit Schokolade beschmiert. »Das geht beim Waschen ganz leicht wieder raus«, erklärte die Frau, griff ihren Sohn am Arm und zog ihn zu sich herüber.
»Ich bitte Sie, es ist alles in Ordnung«, sagte Cedric schnell.
Der Vater starrte Cedric immer noch böse an. Cedric lächelte nervös zurück und sah wieder aus dem Fenster.
An den nächsten beiden Haltestellen stieg niemand aus, es stiegen vielmehr weitere Fahrgäste zu. Der Schaffner machte eine Durchsage, in der er sich dafür entschuldigte, dass nicht genügend Sitzplätze zur Verfügung standen. Offenbar waren andere Züge auf der Strecke ausgefallen. Dann entschuldigte er sich dafür, dass das Zugdach an einigen Stellen leckte.
»Da haben wir ’s«, sagte der böse blickende Mann zu ihm. »Es tropft Ihnen seit Kirkcaldy auf die Jacke, und alles, was Sie bekommen, ist eine Entschuldigung.«
Erschrocken sah Cedric nach oben und bemerkte die Wasserspur an der Zugdecke. Er stand direkt darunter. Hektisch kontrollierte er seine Schultern.
»Am Rücken«, sagte der Mann missmutig. »Sie können froh sein, dass Sie so eine Jacke haben. Da geht kein Regen durch. So was kann sich unsereins nicht leisten.« Er starrte Cedric weiter böse an, und Cedric wurde erst jetzt bewusst, wie er auf die Menschen um ihn herum wirken musste. Arbeiter, einfache Leute, manche vielleicht arbeitslos. Für diese Leute war er eine fleischgewordene Provokation.
»Tut mir leid«, war das Einzige, was Cedric einfiel.
Die Jungs mit den Gitarren waren aufmerksam geworden und musterten ihn eingehend von oben bis unten. Alle um ihn herum schienen ihn plötzlich anzustarren, und er hatte den Eindruck, dass sie es nicht freundlich meinten.
Cedric kämpfte sich schnell an den Gitarrenjungs und mindestens fünfzig anderen stehenden Zuggästen vorbei bis zur anderen Seite des Abteils.
Er hätte den Bus nehmen sollen.
In Cupar stiegen endlich einige Leute aus, sodass jeder ungefähr einen Fußbreit mehr Platz zum Stehen hatte. Cedric hätte nie gedacht, dass er sich jemals im Leben so sehr darüber freuen würde, den Bahnhof von Leuchars zu betreten.
Isobel Hepburn wartete nicht auf dem Bahnsteig, sondern in ihrem Wagen auf dem Parkplatz, wie sie es vereinbart hatten. Erst dachte er, sie würde auf der Fahrt zum Pub ihrer Eltern einen Umweg machen, um nicht an der Polizeistation in der North Street vorbeifahren zu müssen, aber dann bog sie in eine Seitenstraße des Tom Morris Drive ein und hielt in einer Sackgasse mit deprimierend hässlichen, grauen Gebäuden. Mehrstöckige Häuser mit Sozialwohnungen auf der einen Seite, winzige, charakterlose Reihenhäuser auf der anderen. Die meisten der handtuchbreiten Vorgärten waren allerdings erstaunlich gut gepflegt. Cedric hatte nicht einmal gewusst, dass es diese Gegend in St. Andrews gab. In fünf Jahren war er kein einziges Mal hier gewesen. Warum auch? Isobel Hepburn konnte offenbar
Weitere Kostenlose Bücher