Wenn Es Dunkel Wird
wehte mir ins Gesicht, ich atmete auf. Ich hätte es keine Sekunde länger da drin ausgehalten. Dass Claas mitkam, störte mich nun gar nicht so sehr.
»Komische Sache mit dem Einbruch«, meinte Claas, als er neben mir den Berg hinunterrollte. »Warum ausgerechnet Tammys iPod?«
»Warum nicht? Es lag nur einer rum.« Tammy, Tammy, Tammy – ich konnte es nicht mehr hören. Erst recht nicht von Claas.
»Ich weiß schon, du hast was gegen Tammy«, sagte er.
Ich trat in die Pedale und setzte mich vor ihn. Ich hatte keine Lust, über Tammy zu reden, das taten die Männer um mich herum ja schon zu Genüge.
Er holte mich ein. »Meinst du … meinst du, das war ein Stalker?«
»Der es auf Tammy abgesehen hat?«
»Ja, warum nicht, gibt’s doch!«
»Keine Ahnung, Claas! Es lag einfach nichts anderes rum, was ihn interessiert hat – außer meinem Bikini.« Ich trat noch mal in die Pedale, duckte mich, so gut es auf dem alten Alurad von Frau Wagner ging, und schoss um die Kurve. Claas ließ ich hinter mir. Nicht mehr weit entfernt erhoben sich die roten Dächer von Les Colonnes und dahinter erstreckte sich bis zum Horizont das Meer. Der Wind zerrte an meinen Haaren und ich sog diese unglaubliche Luft ein.
»Mel!«, rief Claas. »Jetzt warte doch mal! Tammy …«
»Mensch …« Er holte mich ein. »Was machst du eigentlich für einen Stress? Bist du sauer oder was?« Er bemühte sich, neben mir das Tempo zu halten.
»Komm schon, ich weiß es, du bist sauer, weil ich auf der Couch geschlafen habe. Aber ich konnte doch nicht Tammy …«
»Du kannst ab sofort jeden Abend auf der Couch schlafen oder sonst wo, jedenfalls nicht mehr in meinem Zimmer. Und lass mich jetzt endlich mit Tammy in Ruhe!«, schrie ich und trat meine ganze Wut in die Pedale. Ich schoss voraus und Claas gab sich keine Mühe mehr, mich einzuholen.
Wir kamen wenige Minuten an, bevor der Lebensmittelladen für ein paar Stunden schloss, und lehnten die Räder an die Hauswand.
Es war schon still in der Straße. Die meisten Einwohner hatten sich für den Nachmittag in ihre verdunkelten Wohnungen zurückgezogen.
Wir waren hier draußen die Einzigen, die sich jetzt noch der Hitze auslieferten – kaum waren wir von den Rädern gestiegen, stürzte sie sich schon erbarmungslos auf uns.
Wusstest du, dass einen die Hitze verrückt machen kann? Du kannst nicht mehr klar denken, du siehst Dinge, die gar nicht da sind, oder dein hitzegelähmtes Gehirn gibt ihnen eine völlig andere Bedeutung. Du verlierst die Nerven … Ja, es ist wirklich so.
Der Strand, oben von der Bergstraße aus noch so verheißungsvoll – erschien mir plötzlich wie eine höllische Wüste. Wie kann man sich auch um halb drei nachmittags an den Strand legen wollen? Mein Mund war trocken, meine Zunge fühlte sich an wie Schleifpapier und mein Herz hämmerte. Kein Wind versprach Abkühlung, der Schweiß rann an mir herunter und schien in der Sonne zu kochen. Ich hatte das Gefühl, in wenigen Minuten würde meine Haut Blasen werfen.
Auch Claas war schon rot im Gesicht und seine Haare waren tropfnass.
»Wenn du an den Strand willst, bitte«, sagte ich und blies mir die klebrigen Strähnen aus der Stirn, »aber ich leiste mir ein Taxi und lass mich wieder hochfahren. Ist mir viel zu heiß.«
»Und was machen wir mit den Rädern?«
»Ist das deine einzige Sorge?«, fuhr ich ihn an. Kein Wort des Bedauerns, dass wir beide nicht zusammen zum Strand gingen!
»Wie …« Begriffsstutzig sah er mich an.
»Warum bist du überhaupt mitgekommen, wenn es dir jetzt egal ist, ob wir zum Strand gehen oder nicht?«
»Aber mir ist es doch gar nicht egal, du …«
»Gib doch zu, dass es dir recht ist, gleich wieder hochzufahren! Tammy will vielleicht ihren Schönheitsschlaf halten und niemand schläft auf dem Boden vor ihrem Bett!« Die Worte kamen einfach so aus mir heraus.
»Eifersucht steht dir nicht, Mel. Außerdem gibt’s gar keinen Grund dazu, okay?« Wie er mich ansah, so mit leicht geneigtem Kopf, einem freundlichen Lächeln –man hätte ihm glatt glauben können. In diesem Moment tat ich es sogar.
Warum hat er nicht die Wahrheit gesagt? Vielleicht wäre alles anders gekommen?
Ich zuckte die Schultern. »Ich nehme jetzt jedenfalls ein Taxi.«
»Julian findet es bestimmt nicht gut, wenn ich sein Rad hier unten stehen lasse …« Er rieb sich nachdenklich das Kinn. Es ist ein Phänomen, dachte ich: Claas kann blitzschnell komplizierte Gleichungen lösen, kann in kurzer Zeit eine ganze
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