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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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Augenblick spürte ich ein Zucken in Julian und ich ließ ihn los, als hätte man uns bei etwas Verbotenem ertappt. Sofort flammte die Hoffnung wieder in mir auf: Bedeuteten die Berührung, das Aneinander-festhalten, die kurzen Minuten mit mir allein auch etwas für ihn?
    »Keine Panik«, sagte Julian, »ist nur ein verendetes Kaninchen.«
    »Ach je!« Tammy bückte sich. »Mensch, Julian! Wie Alfred! So ein armes Kaninchen! Da ist noch das Fell …«
    Ich wunderte mich, dass Tammy so empfinden konnte, noch dazu für Tiere.
    »Wir müssen es begraben, Julian!«
    »Ja, machen wir«, versicherte ihr Julian.
    »Am besten draußen, wo es schön ist!«
    »Gib mal die Taschenlampe her!«, sagte Claas und leuchtete über die Felswände. Das fahle Licht glitt über Zeichnungen.
    »Was soll denn das hier sein?«, kam Julians Stimme aus der Dunkelheit. »Ein Puff oder was?«
    Ich behaupte nicht, etwas von Kunst zu verstehen. Aber diese Zeichnungen waren allenfalls primitive Schmierereien eines Möchtegernkünstlers.
    Die Schlange, die sich um eine (natürlich nackte!) Frau wand, war ein plumpes Phallussymbol – genauso plump wie die Frau. Man hätte einwenden können, es handle sich um eine Fruchtbarkeitsgöttin, ich hab mal Fotos gesehen von diesen Figuren auf Malta – aber nein, die Frau sah aus wie von einem ungeduldigen, wütenden Kind gemalt.
    Andere Szenen zeigten Mann und Frau – man kann sich denken, wobei –, dann eine Raubkatze, zumindest deutete ich das gestreifte Etwas auf vier Beinen, das hinter einem Busch auf eine Frau lauerte, als solche, und ja, irgendwo waren auch Wölfe – oder waren es Hunde? –, die ein Schaf rissen – nein, es müssen also eher Wölfe gewesen sein.
    »Sodomie, so nennt man das«, bemerkte Claas.
    »Wenn unsere Eltern gewusst hätten, was dieser Paige für ein Typ war, hätten sie bestimmt nicht das Haus gekauft«, meinte Tammy angewidert. »Das ist ja total krass.«
    »Stimmt, Mama hätte alles desinfizieren lassen!«, bemerkte Julian von irgendwoher. Ich hatte umsonst gehofft, dass er wenigstens in meiner Nähe stehen geblieben wäre, ja, dass meine Hand in der Dunkelheit seine finden würde.
    »Oh, hier gibt’s noch was Nettes!« Claas war weitergegangen und stand nun vor einem Abschnitt, in dem kleine Nischen in die Felswand geschlagen waren. In den Nischen standen abgebrannte Kerzen in – womöglich – jahrzehntelanger Erstarrung und gläserne Einmachgläser mit Schraubdeckeln.
    Langsam ging ich näher.
    »Ich will das alles gar nicht sehen«, sagte Tammy leise.
    Ich glaube, keiner hätte an diesem Ort einen Vorrat an Marmelade oder Sauerkirschen in Einmachgläsern erwartet – aber das, was sie tatsächlich enthielten – oder konservierten –, das überstieg meine Vorstellungskraft.
    Nach einem Blick auf die Gläser spürte ich, wie mir übel wurde, wie dieses unverwechselbare, typische Gefühl vom Magen in die Brust hochstieg und mir die Kehle zudrückte.
    Gummiartige Wesen, eingelegt in bräunlich beiger Flüssigkeit wie russische Eier. Ich zwang mich, näher hinzusehen. Konzentration auf etwas kann Übelkeit bekämpfen. Die gummiartigen oder glibberig erscheinenden »Dinger« hatten glasige Augen, spitze Schnauzen und lange Schwänze, große Ohren und … und Krallen.
    »Teufel«, flüsterte ich, »das sieht aus wie lauter kleine Teufel.«
    »Was?«, schrie Tammy auf. »Was?«
    »Katzen«, sagte Claas interessiert, »he Leute, der Typ hat Katzenembryonen konserviert!«
    »Und Mäuse und Hunde«, meinte Julian angewidert, der auf einmal wieder aufgetaucht war. Ich sah ihn an, doch sein Blick blieb starr auf die Einmachgläser gerichtet.
    »Wie ekelhaft!«, rief Tammy. »Diese armen, wehrlosen Tiere! Nein! Seht doch mal! Was sind das bloß für Menschen, die so etwas tun!« Der Lichtkegel glitt über ihr sonst so perfektes Gesicht und blieb daran haften. Mit den weit aufgerissenen Augen hatte ihr Gesicht plötzlich jede Ebenmäßigkeit verloren.
    Und als wären das tote Kaninchen, die Embryonen, die Zeichnungen an den Wänden nicht schon genug, musste ausgerechnet ich noch eine Entdeckung machen.
    Warum trat ich diese wenigen Zentimeter nach hinten rechts?
    Warum war es nicht Tammy?
    Es knackte unter meinem Schuh. Ich wagte schon gar nicht mehr, mir vorzustellen, was es sein könne. Doch die anderen hatten das Geräusch auch gehört und Claas richtete die Taschenlampe auf meinen Fuß. Ich schluckte.
    Knochen. Weiße, gebleichte Knochen, die jahrelang in der Sonne gelegen

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