Wenn Es Dunkel Wird
haben mussten und irgendwann wohl hier hereingetragen worden waren. Eine anatomisch gebogene Wirbelsäule, ein kleiner Schädel, vier Beine …
»Kaninchen, oder?«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu den anderen.
»Mhm oder Katze«, meinte Claas, der schon am Boden kniete und die Knochen inspizierte.
»Nein! Das ist ja total grausam!«, rief Tammy. »Julian, weißt du noch, wie ich die kranke Katze nach Hause geschleppt und gepflegt habe, da …«
»Welche von den x Katzen, Tammy, meinst du?«, kam es von Julian.
»Die getigerte mit dem gebrochenen Bein und Papa hat gesagt, wir müssten sie einschläfern lassen, und …«
»... und du hast so geheult, dass wir sie behalten haben.«
»Sie hat noch drei Jahre gelebt.«
»Und die zwei Amseln gefressen, die du ebenfalls angeschleppt hast.«
Tammy seufzte.
Ich war ehrlich erstaunt, tatsächlich rührte mich die Geschichte sogar – aber das konnte ich ihr natürlich nicht laut sagen.
Alles in mir wollte fliehen. Raus aus dieser dunklen Höhle, die das Nichtsichtbare, diese schreckliche Dunkelheit, die den Tod konservierte. Für einen Moment kam mir der Gedanke, hier eingesperrt zu sein.
»Was ist diese Höhle hier?«, fragte ich in die Runde und registrierte ein leichtes Zittern in meiner Stimme. »Ein Tempel des Todes oder was?«
»Gut möglich«, meinte Claas. Das flackernde Licht der Taschenlampe ließ sein Gesicht bleich und fratzenhaft erscheinen, wie das von Tammy und Julian – und meines sicher auch.
Es war seltsam, mir kam es vor, als würde eine fremde, unheimliche Macht, die hier seit Jahrzehnten ruhte, aufwachen und allmählich von uns Besitz ergreifen, uns in etwas Unheimliches verwandeln, als würden wir zu Geschöpfen der Dunkelheit, einer anderen düsteren Welt.
Die helle Welt lag jenseits des Höhlenausgangs: der strahlende Sonnenschein, blauer Himmel, glitzerndes Meer bis zum Horizont, Thymian, Rosmarin, alte Olivenbäume. Nur eine Dreiviertelstunde Fußweg entfernt die Villa mit Pool, Fernsehen, iPod und Tiefkühlkost.
Und doch, für uns hier in dieser Höhle eines Todesanbeters mit toten Hasen und Katzen und Hunden und Pornozeichnungen an den Wänden – für uns war sie unendlich weit weg.
14
»Was hat der Typ hier wohl getrieben?«, Claas begutachtete weiterhin die Einmachgläser.
»Experimente?«, meinte ich.
»Wer weiß«, sagte Claas, »vielleicht waren es ja auch Opfer, ihr wisst schon, von irgendwelchen geheimen Ritualen.«
»Blutopfer und so was?«, rief Tammy. »Von wegen, der ist verschwunden. Ich wette, der Typ wurde gekillt! Und hoffentlich echt grausam!«
Ich musste mich unwillkürlich schütteln, eine kalte Welle erfasste meine linke Körperhälfte und lief von der Schulter bis hinunter zum Knöchel.
»He, seht euch das mal an!« Julians Stimme klang hohl. Er musste ein Stück weiter, wahrscheinlich tiefer in die dunklen Windungen der Höhle gegangen sein, denn wir konnten ihn nicht mehr sehen.
Claas ließ den Schein der Taschenlampe über die bemalten Wände weiter ins Innere der Höhle gleiten. Julians Augen funkelten, als das Licht sie traf, er sah seltsam blass aus, als sei er ein Geist, der hier lebte und den wir gerade in seinem schon Jahrzehnte andauernden Schlaf störten.
»Das ist ja der Hammer!« Julian und hielt irgendetwas in der Hand, das im Licht jäh aufblitzte.
Wir kamen näher. Er schnüffelte an einer Flasche. »Alk.« Hinter ihm, in weiteren in den Fels gehauenen Nischen konnte man noch mehr mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten gefüllte Flaschen erkennen. Claas begutachtete die Etiketten. »Fear 12, God’s Power, Obsession 90 %, Believe …«
»Dieser Durchgeknallte hat sich hier ’ne Art Hausbar eingerichtet. Auf einfachen Wein stand der nicht.«
»Das ist Gin oder so«, Julian hatte eine Flasche aufgeschraubt und schnüffelte daran. »Und Absinth«, meinte Claas.
Julian schraubte eine weitere Flasche auf. »Mann, das Zeug muss uralt sein.«
»He, schaut mal, das ist ja richtig kuschelig!«
Claas war weiter ins Innere der Höhle vorgedrungen. Der fahle Schein der Taschenlampe beleuchtete nun eine größere Nische, einen Raum geradezu mit Polstern und rötlichen, staubigen Decken und einer Menge weißer Kerzen. Große, kleine, dicke, dünne – und sie standen überall. In kleineren Wandnischen, in der Mitte auf dem Steinboden. Ich stellte mir vor, wie die Flammen über die Wände tanzten und die Tiere und Menschen auf den Felswänden lebendig werden ließen.
»Coole Location!«,
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