Wenn es Nacht wird in Manhattan
Wasser über mein T-Shirt goss.” Sie lächelte. “Seinen schockierten Gesichtsausdruck werde ich im Leben nicht vergessen. Ich hatte kurze Haare und sah alles andere als verführerisch aus, selbst damals nicht, aber das nasse T-Shirt …” Sie schaute Cash an, der aufmerksam zuhörte. “Natürlich war er nicht auf diese Weise an mir interessiert …”
Hörbar stieß Cash den Atem aus. “Cullen Cannon, der weltberühmte Liebhaber, war schwul?”
Sie nickte. “Ja. Aber dank vieler Freundinnen konnte er das gut vertuschen. Er war ein lieber und sehr freundlicher Mann”, erinnerte sie sich sehnsüchtig. “Ich wollte wieder gehen, aber davon wollte er nichts hören. Er erzählte mir, dass er einsam sei. Seine Familie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er hatte niemanden. Also bin ich geblieben. Er kaufte mir Kleider, hat mich wieder in die Schule geschickt, hat mich vor meiner eigenen Vergangenheit beschützt, damit meine Mutter mich nicht finden konnte.”
Ein Schleier legte sich über ihre Augen, als sie fortfuhr: “Ich habe ihn geliebt”, flüsterte sie. “Ich hätte ihm alles gegeben. Aber alles, was er wollte, war, für mich zu sorgen.” Sie lachte. “Später, als er mich in der Model-Schule in New York anmeldete, hat es ihm wohl gefallen, der Welt zu zeigen, dass er mit einer hübschen jungen Frau zusammenlebte. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall bin ich bis zu seinem Tod bei ihm geblieben.”
“In den Zeitungen stand, es war ein Herzanfall.”
Sie schüttelte den Kopf. “Er hatte Aids. Zum Schluss sind seine Kinder doch noch zu ihm gekommen und haben sich mit ihm versöhnt. Zuerst konnten sie mich nicht leiden, weil sie glaubten, ich hätte es auf sein Geld abgesehen. Aber ich glaube, schließlich haben sie doch gemerkt, dass ich verrückt nach ihm war.” Sie lächelte. “Sie wollten, dass ich nach seinem Tod seine Wohnung behielt und mir von ihrem Erbe ein Treuhandkonto einrichten. Ich habe es abgelehnt. Ich habe ihn in seinem letzten Jahr gepflegt.”
“Deshalb also hast du ein Jahr lang nicht als Model gearbeitet, ehe sie dir den ersten Filmvertrag angeboten haben. Es hieß, du hättest einen Unfall gehabt, von dem du dich erholen müsstest”, erinnerte Cash sich.
Es schmeichelte ihr, dass er all das noch wusste, obwohl sie in Jacobsville buchstäblich Luft für ihn gewesen war. “Das stimmt”, bestätigte sie. “Er wollte nicht, dass jemand wusste, wie es um ihn stand. Selbst damals nicht.”
“Armer Kerl.”
“Er war der netteste Mensch, den ich jemals gekannt habe”, sagte sie traurig. “Ich stelle immer noch Blumen auf sein Grab. Er hat mich gerettet.”
“Und was ist mit dem Mann, der dich vergewaltigt hat?”, fragte er geradeheraus.
Sie schaute zu Rory hinüber, der sich mit dem Dudelsackpfeifer unterhielt. Ihr Gesichtsausdruck war gequält. “Meine Mutter hat behauptet, es sei Rorys Vater gewesen.” Es fiel ihr sichtlich schwer zu sprechen.
Hörbar sog er die Luft ein. “Und du liebst Rory.”
Sie sah ihn an. “Von ganzem Herzen”, sagte sie. “Meine Mutter ist immer noch mit Sam Stanton, Rorys Vater, zusammen. Mal geht’s gut, mal weniger gut. Sie sind beide drogensüchtig. Sam und meine Mutter streiten andauernd. Manchmal schlägt er sie, und dann ruft sie die Polizei. Aber er kommt immer wieder zu ihr zurück.”
“Wieso kümmerst du dich eigentlich so liebevoll um Rory?”, wollte er wissen.
“Der Polizist, der mich in der letzten Nacht, in der ich zu Hause war, gerettet hat – in der Nacht, als Sam mich vergewaltigte – hat mich angerufen, als Rory vier Jahre alt war. Damals lebte ich noch mit Cullen zusammen. Er hatte viel Geld und viele Verbindungen. Cullen ist mit mir ins Krankenhaus zu Rory gegangen, nachdem sein Vater ihn brutal geschlagen hatte. Meine Mutter war ganz vernarrt in Cullen”, sagte sie kalt. “Deshalb hat sie Rory, als er entlassen wurde, in das Hotel gebracht, in dem wir wohnten. Sie wollte Geld. Cullen hat ihr angeboten, das Kind zu kaufen. Und sie hat ihn uns verkauft”, sagte sie tonlos. “Für fünfzigtausend Dollar.”
“Mein Gott”, sagte er entsetzt. “Und ich habe geglaubt, mich könnte nichts mehr schockieren.”
“Seitdem lebt Rory mit mir zusammen”, fuhr sie fort. “Er ist für mich wie mein eigenes Kind.”
“Du bist nie schwanger gewesen …?”
Sie schüttelte den Kopf. “Ich bin ein Spätzünder. Sogar meine Periode habe ich erst mit fünfzehn bekommen. Ich bin ein Glückspilz, was?”
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