Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)

unterliegt der Fluss hier nicht den Gezeiten, weil ich über der Schleuse bin. Ich habe jetzt Enten und Schwäne und keine doofen Möwen mehr. Es ist hübsch da, es wird dir gefallen.«
    »Es wird mir gefallen?«
    Ich lächelte ihn voller Hoffnung an. »Ja, ich denke schon.«
    »Das mit dem Pub gefällt mir.«
    »Du musst aber über die Schleuse laufen, um hinzukommen. Ich bin am anderen Ufer.«
    »Und da ist es sicher?«
    »Ja, ich fühle mich in Sicherheit.«
    »Gut.«
    Vielleicht lag es daran, dass wir weit von London entfernt waren, jedenfalls spürte ich, dass er langsam auftaute. Seine Schultern waren nicht mehr so steif, und er hielt auch das Lenkrad nicht mehr so krampfhaft umklammert.
    »Ist mit deinem Boot alles in Ordnung?«
    »Ja, ich denke schon. Ich richte zwar noch immer ein paar Sachen her, aber jetzt muss ich es eigentlich nur noch ein wenig aufpolieren, um es verkaufen zu können.«
    »Warum denn das?«
    Zum ersten Mal, seit wir Chislehurst verlassen hatten, sah er mich an.
    »Ich kann dort nicht mehr leben. Ich bin mit dem Boot woanders hingefahren, weil ich dachte, das würde was bringen, aber dem ist nicht so. Es ist zu viel auf dem Boot passiert, Dylan. Alles erinnert mich an jene Nacht. Daran, dass Malcolm angeschossen wurde. Daran, was Arnold vorhatte. Dass man dich fast zu Tode geprügelt hat.«
    »Du kannst doch nicht einfach deinen Traum aufgeben. Du musst dir Zeit lassen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das würde auch nichts an meinen Gefühlen ändern. Ich kann da nicht bleiben. An der nächsten Kreuzung musst du links abbiegen. Dort, siehst du.«
    Der Wagen bog in die Castle Road ein und fuhr langsam die enge Straße bis zum Ende. Ich hatte nur noch ein paar Minuten. Ein paar Minuten mit ihm.
    »Was wirst du jetzt machen?«, fragte er.
    Ich konnte nicht weinen, nicht jetzt. Ich drängte die Tränen zurück. »Ich weiß noch nicht.«
    Ich hätte ihn so gerne sagen hören: Dann komm doch mit nach Spanien. Mit mir. Doch das sagte er nicht.
    Am Ende der Straße befanden sich ein Wendekreis und der Eingang zum Häuschen des Schleusenwärters, dahinter der Parkplatz, an den eine Gleitbahn zum Wasser grenzte. Und dann waren wir angekommen. Die Wagenreifen knirsch ten auf dem Kies, und wir blieben stehen. Die Revenge of the Tide war am Betonufer vertäut, nur ein paar Schritte von der Stelle entfernt, an der wir geparkt hatten. Sie lag zwischen zwei Kanalbooten, wirkte groß und irgendwie fehl am Platz.
    Ich holte tief Luft. »Willst du noch mit reinkommen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich kann nicht«, sagte er und biss die Zähne zusammen.
    »Was kannst du nicht?«
    Er machte eine Pause und legte seine Hand an die Stirn. »Ich kann das nicht mehr. Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe?« Endlich drehte er sich um und sah mich an, diesmal richtig, und es fühlte sich an wie das erste Mal.
    Ich streckte meine Hand nach ihm aus und wollte ihm über die Wange streichen. »Weil ich dich liebe«, sagte ich. »Und ich weiß, dass du mich auch liebst, selbst wenn du das niemals zugeben würdest. Ich weiß, dass du mich liebst.«
    Er sah mich lange an, und ich wich seinem Blick nicht aus, wie um ihn aufzufordern, es zu leugnen, einen Witz darüber zu reißen oder zu lachen. Doch als er nichts dergleichen tat, legte ich meine Hand an seine Wange und streichelte sie sanft, kletterte über die Mittelkonsole des BMW und küsste ihn. Ich ignorierte, dass er vor Schmerz zusammenzuckte, als ich auf seine geprellte Brust fiel. Ich drückte ihn gegen die Tür, sodass ich auf seinen Schoß klettern und ihm die Arme um den Hals legen konnte, damit er mir nicht mehr entwischen konnte, bis ich dafür gesorgt hatte, dass er seine Meinung änderte.

Anmerkungen der Autorin
    Leser, die mit der Gegend um den Medway vertraut sind, werden sicher einige Schauplätze aus dem Buch wieder erkennen. Der Hafen allerdings, in dem die Revenge of the Tide liegt, ist eine bunte Mischung verschiedener Werften entlang des Flusses und existiert in dieser Form in Realität nicht. Auch das Barclay ist frei erfunden.

Danksagung
    Mein erster Entwurf zu Wenn es Nacht wird entstand im November 2010 für National Novel Writing Month (NaNoWriMo). Äußerst gespannt legte ich meiner Lektorin Vicky Blunden etwas später ein Manuskript mit einem Umfang von neunzigtausend Zeichen vor. Mithilfe des brillanten Teams bei Myriad, zu dem Candida Lacey, Corinne Pearl man, Linda McQueen, Anthony Grech-Cumbo, Adrian Wes ton, Dawn Sackett und