Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
schließlich. »Ihr Damen geht besser an Deck und bewundert den Sonnenuntergang.«
Auf dem Weg durch die Küche nahm ich den Flaschenöffner mit und dachte, dass die beiden Bierflaschen noch nicht so kalt waren wie gewünscht, aber immerhin fast, während Josie irgendeine Bemerkung über den Mann machte, den wir zurückließen, damit er Feuer machen konnte. »Das liebt er! Wir werden uns irgendwann eine Zentralheizung einbauen, aber er schiebt es immer wieder vor sich her. Er stapelt sogar im Sommer Holzscheite, nur für den Fall, dass es ein wenig kühl wird. Demnächst wird er noch einen Baum auf dem Sportgelände fällen.«
Ich sah zur Scarisbrick Jean hinüber, dem schmalen Boot von Malcolm und Josie, das sie sich mit ihrer Katze Oswald teilten. Kurz nachdem ich eingezogen war, hörte ich sie immer wieder über Aunty Jean reden und glaubte, es sei noch eine dritte Person an Bord, bis ich begriff, dass Aunty Jean der Kosename für ihr Boot war. Ein netter Name. Vielleicht sollte ich mir auch einen Kosenamen für mein Boot überlegen.
Als ich das Boot zum ersten Mal gesehen hatte, wusste ich auf Anhieb, dass es das richtige war. Der Preis entsprach zwar nicht ganz meinem Geldbeutel, doch nachdem ich eine Finanzspritze bekommen hatte, konnte ich mir Boote ansehen, die zunächst nicht infrage gekommen waren. Das Boot musste renoviert werden, doch der Rumpf war in Ordnung und die Kabine einigermaßen erträglich. Ich konnte es mir gerade noch leisten und rechnete damit, ein Jahr für die Renovierung zu brauchen, vorausgesetzt, ich ging sparsam mit meinem Geld um und machte alle Arbeiten selbst.
» Revenge of the Tide . Was für ein seltsamer Name für ein Boot«, hatte ich an dem Tag gesagt, an dem ich beschlossen hatte, einen Großteil meiner Ersparnisse darin zu investieren. Cameron, der Werftbesitzer und Bootsmakler, hatte neben mir auf dem Ponton gestanden. Er war kein gewiefter Geschäftsmann; er hatte es eilig gehabt, wollte den unzähligen anderen Tätigkeiten nachgehen, die auf ihn warteten. Er war von einem Fuß auf den anderen getreten und hatte sich gerade noch beherrschen können zu sagen: Wollen Sie es jetzt oder nicht? Für ihn war es schon ein tolles Geschäft, dass ich mich bereits in das Boot verliebt hatte.
Die Revenge of the Tide war ein knapp dreiundzwanzig Meter langer Frachtkahn vom Typ Hagenaar, benannt nach den Grachten von Den Haag, weil er niedrig genug war, um unter den Brücken hindurchzupassen. Er war 1903 in den Niederlanden gebaut worden und ein wahres Monstrum von Boot, ein echtes Arbeitstier. Die Segelmasten waren entfernt und nach dem Zweiten Weltkrieg durch einen Dieselmotor ersetzt worden. Das Boot war im Hafen von Rotterdam zum Warentransport eingesetzt worden, bis es in den 1970er-Jah ren verkauft und über den Ärmelkanal gebracht worden war. Seitdem hatten die Besitzer ständig gewechselt, die es mit unterschiedlichem Aufwand und Erfolg als Lastkahn, Ausflugs- oder Hausboot genutzt hatten. »Der Besitzer hat das Boot kurz vor seiner zweiten Scheidung gekauft«, hatte Cam gesagt. »Er hat seine Alte reingelegt, indem er alle seine Ersparnisse in das Boot gesteckt hat. Vermutlich wollte er sie nur Revenge nennen, doch das wäre ein bisschen zu offensichtlich gewesen, also hat er sie Revenge of the Tide genannt.«
»Vielleicht sollte ich den Namen ändern«, hatte ich gemurmelt, als Cam mich zum Unterschreiben des Kaufvertrags in sein Büro führte.
»Das geht nicht. Es bringt Unglück, wenn man ein Schiff umtauft.«
»Unglück? Was gibt es Schlimmeres, als einem Boot den Namen einer gescheiterten Ehe zu geben?«
Cam hatte das Gesicht verzogen.
»Wie dem auch sei, der letzte Besitzer hat den Namen doch auch geändert, oder?«
»Ja. Und jetzt lässt er sich gerade zum dritten Mal schei den und muss das Boot verkaufen, um die Scheidung zu finanzieren. Was schließen Sie daraus?«
Also ließ ich den Namen, wie er war, denn ich wollte in meinem Leben nicht noch mehr Unglück heraufbeschwören. Außerdem hatte die Revenge Charakter, eine Seele: An Bord eines solch majestätischen, wunderschönen Bootes zu wohnen, gab mir ein wenig Sicherheit und sorgte dafür, dass ich mich nicht ganz so einsam fühlte. Es behütete mich und schützte mich vor fremden Blicken. Schiffe sind eigentlich weiblich, doch für mich war die Revenge männlich: ein großer, ruhiger Gentleman, der auf mich aufpassen würde.
»Und, wann kommen deine Freunde aus London?«, fragte Josie.
»Ach,
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