Wenn es plötzlich Liebe ist
hatte einen winzigen Moment lang gezögert. Da hatte er sich so nach ihr gesehnt, dass er sich kaum hatte beherrschen können. Er wusste noch, wie er das Laken fest in der Hand zusammengeknüllt hatte, als ihre Schritte sich wieder entfernten.
Sobald sie wieder in ihrem Zimmer war, war er aufgestanden und in der Wohnung auf und ab gegangen. Er war von einem Zimmer ins andere geschritten und hatte überlegt, dass sie zwar beide nicht schlafen konnten, aber wahrscheinlich aus unterschiedlichen Gründen. Das Zögern vor seiner Tür war vielleicht aus Angst geschehen, aber Smith wollte lieber glauben, es hätte einen anderen Grund gehabt. Seine sexuelle Frustration war grenzenlos.
Dann war er vor das Sofa getreten und hatte das kleine Buch aufgeschlagen auf dem Kissen liegen gesehen. Er hatte sich darüber gebeugt, die saubere, elegante Handschrift bewundert und gelächelt, als er es las.
Wie gerne wäre er ihr Geburtstagsgeschenk!
Smith stellte das Wasser noch heißer.
Jesus, dachte er.Wie sehr er sie begehrte. Obwohl sie sich ihm beim letzten Mal entzogen hatte, wollte sie ihn wohl immer noch. Wäre es wirklich so schlimm, wenn sie beide diesem Drang nachgäben?
Okay, unter professionellen Gesichtspunkten wäre das in keiner Weise akzeptabel, aber er war es leid,Tag und Nacht ständig gegen seine Lust anzukämpfen.
Smith stemmte sich gegen die Marmorwand und beugte sich vor. Dabei streckten und dehnten sich seine Rückenmuskeln, und der Wasserstrahl traf ihn direkt im Nacken.
Er hatte es gerne, wenn alles klar und deutlich war. Sicher und gefährlich zugleich. Klug und dumm. Er hatte immer gefunden, dass das Leben ziemlich einfach war, wenn man sich um alles gleichzeitig kümmerte und immer die richtigen Entscheidungen traf. Richtig und Falsch war gar nicht so schwer auseinanderzuhalten.
Mit einer Klientin ins Bett zu gehen war aber gleichzeitig dumm und gefährlich.
Smith drehte sich um und ließ die Jetstrahlen den Rücken herabtanzen. Dabei rollte er die Schultern und versuchte, die Spannung loszuwerden. Aber er wusste, es würde wenig nützen. In letzter Zeit hatte nichts mehr geholfen, und die Verspannung breitete sich allmählich im ganzen Körper aus.Vermutlich würde nur eine Nacht mit Grace die ersehnte Lockerung bringen.
Vielleicht auch mehrere Nächte.
Immerhin wäre sie dabei sicher vor diesem Killer.
Als er aus der Dusche trat, meldete sich der Taktiker in ihm. Er musste die ganze Situation leidenschaftslos überdenken. Alle Risiken abwägen. Konflikte vorausplanen.
Immerhin war er Elitesoldat gewesen. Er hatte gelernt,
sich mit seinem Verstand aus ausweglos erscheinenden Situationen herauszudenken. Smith begann sich abzutrocknen.
Grace begehrte ihn. Er begehrte sie. Das waren die Vorteile.
Gut,Vorteile war vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Es war aber die Wirklichkeit.
Dann überlegte er die Risiken. Diese Liste fiel länger aus.
Erstens ging es hier um eine professionelle Beziehung. Neben einer Klientin aufzuwachen war mit Sicherheit nicht der Höhepunkt seiner Karriere. Er wusste nur zu verdammt gut, dass Sex stets das Risiko mit sich brachte, dass die Frauen sich auch emotional an ihn banden, besonders aber Klientinnen, die er beschützen sollte. Eigentlich war er kein sonderlich begehrenswerter Mann, aber Menschen in riskanten Situationen klammerten sich oft an ihren Beschützer. Sex würde diese unangemessene Bindung nur verstärken.
Außerdem stand auch sein Privatleben auf dem Spiel. Wenn er sonst mit einer Frau schlief, ging er anschließend immer fort. Es gab keine Schmuserei, kein Aneinanderkuscheln oder zärtlich geflüsterte Worte im Dunkeln. Es war für ihn normal, irgendein Flugzeug erwischen zu müssen, aber bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er nicht sofort hatte abreisen müssen, war er trotzdem abgehauen, weil er sich wie gefangen fühlte. Der emotionale Nachklang von Sex erschien ihm stets gezwungen. Er hatte einfach nie etwas zu sagen.
Außer Lebewohl.
Grace war vielleicht eine sehr intelligente Frau, aber sie war nicht leicht zu haben.Vermutlich würde sie sich nur einem Mann schenken, zu dem sie sich auch emotional hingezogen
fühlte, und daher hatte sie in jener Nacht einen Rückzug gemacht, als er fast am Ziel war. Als sie versuchte, es zu erklären, hatte er das abgelehnt, weil er nichts von ihren Gefühlen hören wollte. Er wusste, dass solche Vertraulichkeiten Intimität erzeugten, und das wollte er auf keinen Fall.
Mit keiner Frau.
Smith
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