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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Kirschbaum jagte. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle, war krank, gefährlich, geistesgestört. Sah Herr Blatz das nicht? Am besten schickte er mich nicht heim, sondern ließ mich einsperren.
    »Meinst du, ich sollte noch einmal mit deinen Eltern sprechen?«
    »Tun Sie, was Sie für richtig halten.«
    Er ließ das Kinn los, kratzte sich stattdessen an der kahlen Stirn. Nichts hätte mich dazu gebracht, seinem Blick auszuweichen.
    »Wenn du nicht so verdammt gut in der Schule wärest, fiele mir die Entscheidung leichter. Du weißt, dass es nicht richtig war, was du getan hast?«
    Keine Rechtfertigungen. Es interessiert nicht, warum ich den Jungen verdroschen und ihm den Arm gebrochen habe. Ich hätte das nicht tun dürfen. »Ja.«
    »Ich muss konsequent bleiben, Henrik. Das siehst du doch ein?« Die Hand legte er wieder ans Kinn, hielt sie eine Weile lang ruhig, bis er es nicht mehr aushielt und wieder zu kratzen begann. »Ich muss dich von der Schule verweisen. Ich habe hier einen Brief für deine Mutter. Sie möchte bitte morgen früh hierher kommen, um mit mir zu besprechen, auf welche Schule du in Zukunft gehen kannst. Ich werde ihr bei der Ummeldung helfen.« Wortlos nahm ich den Brief aus seiner Hand, faltete ihn einmal und steckte ihn in die Tasche.
    »Du kannst noch deine Sachen aus der Klasse holen«, fuhr Herr Blatz fort und erhob sich. Er reichte mir nicht die Hand, sagte nichts zum Abschied, sondern entließ mich einfach. Ich hatte es verdient. Wenn Geschichten sich wiederholen, hat man nichts gelernt. Aber dazu war ich doch auf der Schule. Um zu lernen.
    Es gibt vieles, das ich nicht weiß, auch, wenn ich die Folgen davon kenne.
    Ich weiß, wie traurig meine Mama den Kopf schüttelte und sagte: »Zum Glück ist Papa nicht da«, als ich ihr den Brief der Schule in die Hand drückte.
    Niemals hat sie mir erzählt, was Herr Blatz, der Schuldirektor, am nächsten Morgen gesagt hatte, damit sie, zurück im Garten, ihre paar Kleider in eine Plastiktüte steckte, meine spärlichen Habseligkeiten in eine andere, und mich aufforderte, mit ihr zu kommen, um die Laube und meinen Vater auf nimmer Wiedersehen zu verlassen.
    »Moment«, rief ich. Ich weiß nicht, weshalb ich in diesem Moment so geistesgegenwärtig daran dachte. Es muss die Ahnung der Endgültigkeit gewesen sein. Aber ich lief sofort in den Schuppen, in dem sich unsere provisorische Toilette befand, und zerrte hinter einem Balken das kleine Kästchen meiner Großmutter hervor. Ich sollte darauf aufpassen, hatte sie mir aufgetragen, und es öffnen, sobald es an der Zeit wäre. Es zu verstecken war in diesem Garten die beste Möglichkeit, die mir dazu eingefallen war. Regelmäßig, wenn Papa nicht da war, hatte ich kontrolliert, ob es noch an seinem Platz stand, hatte über den Verschluss gestreichelt und überlegt, ob es schon an der Zeit wäre.
    Wir fuhren mit dem Linienbus in ein neues Leben, nichts bei uns, als zwei Plastiktüten und meinen Schulranzen. Meine Mutter ließ zweimal den Schlüssel fallen, als sie die Tür öffnen wollte. Ich weiß nicht, woher auf einmal die Wohnung kam, in die sie mich brachte, unmöbliert und kahl, aber frisch gestrichen. Ich sehe sie noch heute die Plastiktüten auf den Holzboden stellen, bevor sie mich in die Arme nahm und sagte: »Das wird unser Reich des Friedens.«
    Ich traute mich nicht, auch nur einen Schritt durch die Wohnung zu gehen oder die Zimmer zu inspizieren. Sogar mit der Frage, wie meine Mutter das bezahlen wollte, war ich überfordert. Sie kam mir gar nicht. Es war einfach nur ein Traum, aus dem ich fürchtete, zu erwachen, sobald ich mich bewegte.
    »Kommt Papa nach?«
    Meine Mama schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Vielleicht wird er friedlich, wenn wir nicht mehr arm sind?«
    Der Umzug aus der dritten Etage in den Garten war für mich der Start in die Armut gewesen. Damals hatte der Kuckuck an allem geklebt. Wir hatten die zweite Wohnung räumen müssen, dieses Mal die, in der schon meine Oma gelebt hatte, in der sie uns aufgenommen hatte, bevor sie gestorben war.
    Jetzt, da wir wieder eine Wohnung hatten, konnten wir nicht mehr arm sein, auch wenn dieser Gedanke für meine dreizehn Jahre völlig dumm war. Denn natürlich wusste ich, wir müssten Miete bezahlen und meine Mama bräuchte Arbeit. Aber in dem Moment, in dem wir dort im Flur standen, dachte ich nicht daran.
    »War er friedlich, bevor wir es wurden?«
    Mama ließ mich los, leerte die Plastiktüten und legte die Kleidung einfach an die

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