wenn es Zeit ist
Wand im Flur.
Ich hatte mich bewegt, ohne dabei aus dem Traum zu erwachen. Ich konnte also doch in die Zimmer gehen, Bad und Küche besichtigen.
Der Flur war geräumig genug für zwei Sessel und einen kleinen Tisch. Er hatte unter dem Fenster ein Podest für eine kleine Kommode oder ein Fernsehgerät.
Die Zimmer waren ungefähr gleich an Schnitt und Größe. Ich durfte mir eines aussuchen, schaute mir zu diesem Zweck erst das eine, dann das andere an, und nahm schließlich Beschlag von dem, dessen Fenster zum Hof lagen. Auf die Fensterbank stellte ich die kleine Kiste von Oma. Mein Herz klopfte zunächst, als sie so sichtbar dort stand. Es war ein Gemisch aus Bangen und Freude. Und ich stellte mich mal an die Wand, um das Kästchen aus der Ferne zu betrachten, mal ging ich ganz nah heran, um es anzufassen und zu streicheln, wie ein Stofftier.
Die Küche war klein und ein Gasherd stand darin , das einzige Möbelstück, das wir an diesem Abend besaßen.
»Ich habe noch ein bisschen Geld, wollen wir etwas zu essen kaufen?« Meine Mama war mir in die Küche gefolgt, befühlte den Herd, öffnete die Klappe zum Ofen, und sah hinein. »Ein Backblech gibt es. Wir könnten uns Pizza machen.«
Es gibt Dinge, die man sein Leben lang nicht vergisst. Zu diesen gehört für mich unser Einkauf an jenem Tag. Bei Woolworth in der Fuhlsbütteler Straße kauften wir uns billige Haushaltsmesser und eine günstige Plastikschale. In einem Supermarkt Mehl, Hefe, Tomaten, Käse, Salami, Salz und Öl. Langsam kehrte die Realität wieder zurück. »Wie viel Geld hast du noch?«, fragte ich. »Wir brauchen schließlich noch etwas zum Frühstücken.« Mama schob mich durch die Gänge, ließ sich viel Zeit, schaute hier etwas an, packte dort etwas ein, bis wir mit einem prall gefüllten Wagen an der Kasse standen.
Auch werde ich niemals die Tränen meiner Mutter vergessen, als wir die Einkäufe in die Speisekammer , einer kleinen, durch eine Tür getrennten Abseite der Küche, stellten. Am eindrucksvollsten wird mir aber die fröhliche Stille in Erinnerung bleiben, in der wir an diesem Abend auf dem Fußboden im Flur hockten, Tomaten schnitten, Pizzateig kneteten, ausrollten und belegten.
Es mag primitiv gewesen sein, im Garten hatte es wenigstens einen Tisch gegeben, von dem wir essen konnten. In unserem Reich des Friedens aßen wir vom Fußboden, aber es war ein Fest.
Ich weiß weder, was Herr Blatz und meine Mutter besprochen haben noch, welche Regeln sie außer Kraft setzen mussten, damit ich am nächsten Tag, am Tag nach unserer Flucht aus dem Garten in das Reich des Friedens, nicht mehr Realschüler, sondern Gymnasiast war. Mama brachte mich am Morgen zu einer neuen Schule, auf die ich fortan gehen sollte. Statt in der achten, war ich auf einmal wieder in der siebten Klasse.
Auch habe ich keine Ahnung, wie Michi erfahren hat, wo ich war. Aber sie stand nach Schulschluss an der den Hof umschließenden Mauer und schimpfte: »Du hast mich hier zwei Stunden in der Kälte stehen lassen.« Dabei war es noch so heiß, wie zwei Tage zuvor, als ich einem Jungen ihretwegen den Arm gebrochen hatte.
Von Schlagzeilen (1976)
Am nächsten Mittag lässt Michi mich ausschlafen. Es ist Freitag, mein letzter Ferientag. Michi hat ihren ersten Tag im Hotel. Sicher wird sie anrufen, sobald sie zu Hause ist. Erst mal kann ich ganz in Ruhe den Tag vergammeln, vielleicht ein paar Besorgungen machen, vielleicht auch nicht. Für diesen Tag will ich die Freiheit, ihn nicht zu nutzen.
Am späten Nachmittag kommt Mama nach Hause. Sie sieht abgespannt aus, um ihre Augen hat sie Fältchen . Sofort setzt sie sich auf einen Sessel in unserem Wohnflur und legt die Beine auf den Tisch. Ich muss lachen. Als der Tisch neu war, hat sie immer versucht, es mir zu verbieten. Inzwischen haben wir es uns beide angewöhnt. Es ist schön, lachen zu dürfen. Und trotz der anstrengenden Arbeit sieht Mama besser aus als an dem Abend, an dem wir hier auf dem Fußboden Pizza gemacht haben. Sie ist ganz leicht geschminkt, trägt einen bunten Rock und ein pinkfarbenes T-Shirt, mit dem sie fast so jung aussieht wie Michi.
Ich biete ihr eine Zigarette an. Als wir noch im Garten lebten, hat sie nie geraucht. Aber an den ersten langen Abenden in der Wohnung, über die Stellenanzeigen in der Zeitung gebe ugt, hat sie es sich angewöhnt.
Es ist wie ein Ritual. Wenn ich zu Hause bin, setzen wir uns , sobald Mama von der Arbeit kommt, gemeinsam hin, rauchen eine Zigarette
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