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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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eine zweite Zigarette an.
    »Sie hat die Körperstellen mit ihren Tinkturen betupft und dazu Formeln gemurmelt, so leise, dass niemand sie verstehen konnte. ›Es reicht, wenn Gott sie versteht‹, sagte sie immer, wenn jemand nach den Formeln fragte.«
    Ich muss grinsen. Meine Oma wird sichtbar, die geliebte Oma, die mich auf den Schoß nahm und die Wolken aus dem Leben pustete. Die Oma, die immer nach Kartoffeln roch, die buk und kochte, immer Pudding zum Nachtisch hatte und die mich in ihrer Küche duldete, selbst, wenn ich meinen Spielzeuglaster zwischen ihren Beinen hindurchschob, während sie gerade am Spülbecken stand und das Geschirr abwusch. Meine bodenständige Oma, vor der selbst Papa so viel Respekt hatte, dass er uns nie geschlagen hat, solange sie bei uns war.
    »Und das hat geholfen?«
    »Ich habe es selbst erlebt. Ich hatte eine Flechte, als ich, frisch in Hamburg angekommen, deinen Vater aufsuchte, um ihm von dir zu erzählen. Es war eine unangenehm juckende Flechte, die mein Gesicht zierte, seit ich von der Schwangerschaft wusste. Als dein Vater den Kaffee ausgetrunken hatte, schickte deine Oma ihn aus dem Zimmer. Er nahm das dankbar an, hatte er doch schon vorher nicht bleiben wollen. Deine Oma fragte mich, seit wann ich die Flechte hätte, ob ich damit schon beim Arzt gewesen wäre, und besprach sie. Schon am nächsten Tag änderte sich die Farbe der Flechte. Sie wurde dunkler, schuppte etwas, denn sie trocknete aus. Nach drei Tagen war sie verschwunden.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Mama seufzte tief. »Es ist schwer zu glauben. Dein Vater hielt seine Mutter für eine Hexe. Er nannte sie auch so und das meinte er nicht freundlich. Aber deine Oma hatte ein Gespür für Menschen und ihre Krankheiten, sie hatte eine Gabe und sie konnte streng sein. Du warst ja noch sehr klein, als sie starb.«
    »Ich kann mich an sie erinnern. Sie war ganz sicher keine Hexe.«
    »Aber als sie deinen Vater und mich zur Hochzeit gezwungen hat, damit du nicht den Makel des unehelichen Kindes trägst, war sie streng und unerbittlich. Als sie von dir erfahren hatte, nahm sie mich auf. Sie baute aus Wolldecken ein hartes Bett auf den Fußboden deines späteren Zimmers, duldete nicht, dass ich in einem Hotel übernachten würde. Sie kommandierte mich, ihr in der Wohnung zur Hand zu gehen, sie sorgte für mich, und mit der gleichen Konsequenz verpflichtete sie ihren Sohn.
    Manchmal hatte ich das Gefühl, es ging nicht um mich, sondern um das ungeborene Kind in meinem Leib. Immer hieß es: ›Denk an dein Baby‹ . Ich war nur die Hure Maria, die es austragen sollte. Aber mir machte sie nie Vorwürfe. Immer nur deinem Vater.«
    Es ist lange her, seit Mama mir das erste Mal von ihrer Ankunft in Hamburg erzählt hat. Schon damals war es, als spräche sie von einer ganz anderen Oma, einer die ich nicht kannte. Auch jetzt habe ich dieses Gefühl. Ich kann mir die Großmutter nicht streng vorstellen, obwohl ich immer aufgepasst habe, nicht entdeckt zu werden, wenn ich sie mit ihrem Besuch belauschte. Aber das war eher die Freude am Versteckspiel gewesen, nicht die Angst, etwas könnte passieren. Sie war für mich nie eine Hexe gewesen.
    Erzählt Mama etwas über sie, bekomme ich Mitleid mit meinem Vater und bekomme eine Ahnung von seinem Zorn.
    »Es fällt wirklich schwer, das alles zu glauben, Mama.«
    Sie drückt die zweite Zigarette aus und steht auf, um in die Küche zu gehen.
    »Ich weiß. Aber Oma hatte diese Gabe. Und auch, wenn du es nicht glauben kannst, du könntest sie von ihr geerbt haben.«
    Ich folge meiner Mama in die Küche. Schweigend stehen wir nebeneinander, während ich Wurzeln schäle und sie Ei und Paniermehl in ein Pfund Hackfleisch knetet. Übt man Tätigkeiten aus, bei denen man nach unten schaut, werden die Gedanken dunkel. Es gäbe vieles, das ich sagen könnte, das mir durch den Kopf geht. Meine Oma hatte also eine Gabe, eine, die sie in den Augen meines Vaters zur Hexe gemacht, mit der sie seinen Zorn herbeigerufen hat. Ich will festhalten an meinem Bild von ihr, an der Schürze und an dem Schoß, auf dem ich sitzen durfte. An ihre beruhigende Stimme und an dem Atem, mit dem sie mir die Wolken aus dem Leben pustete. Und doch drängt sich dieses Bild von einer düsteren und dunklen Oma auf. Und gerade das soll ich geerbt haben? Das soll es sein, was mich mit ihr verbindet? Wenn ich die Wut meines Vaters mit der Hexe vereint in mir trage, wo soll ich dann landen?
    Ich lege die geschälten Möhren in

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