wenn es Zeit ist
egal. Der Luxus einer Matratze war umwerfend genug, also verzichtete ich gern.
Wir lebten, aber wir mussten sparen. Trotzdem ging es bergauf.
»Was hat Papa bloß mit dem Geld gemacht, das er verdiente?«
Mama zuckte die Schultern. Ich weiß bis heute nicht, ob sie ihn nur nicht vor mir bloßstellen wollte, oder ob sie tatsächlich keine Ahnung hatte. Jedenfalls war es komisch. Morgens nach dem Duschen im Schwimmbad war er zur Arbeit gegangen und oft erst spät am Abend zurückgekommen. Er hatte so viel gearbeitet, er musste doch genug verdient haben, seiner Familie eine anständige Wohnung bieten und sie ernähren zu können. Diese Gedanken kamen mir erst, als ich Mama ganz alleine schaffte, was Papa nicht fertiggebracht hatte.
Mit den Monaten, die vorbeizogen, mit der Sicherheit, die ich auf dem Gymnasium erlangte, mit der langsam voranschreitenden Ausstattung unseres Reichs des Friedens verblasste die Angst. Ich dachte weniger über Papa nach und wich auch nicht mehr jedem Polizeiwagen aus. Wenn sie mich wirklich suchten, hätten sie mich längst gefunden. Mama hatte uns angemeldet und niemand hatte an der Tür geklingelt, außer Michi, wenn sie mich besuchen, oder einer Nachbarin, wenn sie sich ein Ei leihen wollte. Kaum mehr zuckte ich zusammen, wenn ich durchs Treppenhaus die Haustür klappen hörte oder mich jemand von hinten ansprach.
Ich zog mit Michi durch die Gegend, aus Spaß probierte sie bei Armbruster ein paar Schuhe an, die sie doch nicht kaufte, wir gingen die Fuhlsbütteler Straße hoch bis zum Barmbeker Bahnhof, wieder zurück, und wussten eigentlich nichts mit uns anzufangen. Es war Februar und kalt. Deshalb wärmten wir uns bei Hertie auf, schauten in der Schallplattenabteilung nach Musik, obwohl weder Michi noch ich eine Stereoanlage besaßen. Es war ein langweiliger Nachmittag und irgendwann beschloss Michi, nach Hause zu fahren. Wir verließen das Kaufhaus, alberten ein bisschen und auf der anderen Straßenseite sah ich ihn.
Schnell zerrte ich Michi vor mich, versteckte mich hinter ihr und beobachtete meinen Vater, der mit hängenden Schultern und wütendem Gebrüll eine Tür hinter sich so fest zuschlug, dass die Schaufensterscheibe zitterte. Die Auslage dahinter bestand aus einigen ausrangierten Daddelautomaten, gegeneinandergestellten Billardqueues, durstigen Blumen und einem Pappschild mit lächelnden Menschen auf einem Foto, die versprachen: »Hier sind Sie unter Freunden.«
Es war noch nicht spät, vielleicht halb vier. Um diese Zeit müsste er doch noch bei der Arbeit sein. E r kam aus einem Spielsalon, sein guter Anzug war zerknittert, die Krawatte hing gelöst um sein Hemd, einen Mantel, der ihn vor der Kälte schützen könnte, hatte er nicht. Er steckte gerade sein Portemonnaie in die Innentasche seines Jacketts und schlurfte dabei in Richtung Bushaltestelle. Ganz kurz nur hatte ich das Bedürfnis, zu ihm zu laufen, ihn zu begrüßen und ihn in den Arm zu nehmen, doch als er mit dem Fuß nach einem Yorkshire Terrier trat, den eine etwas dickliche ältere Dame gerade an der Leine an ihm vorbeiführte, duckte ich mich noch tiefer hinter Michi.
»Was hast du?«, fragte die.
»Der Mann dort drüben ist mein Vater.«
»Und vor dem habt ihr so viel Angst?«
Und ob ich die auf einmal wieder hatte, auch, wenn er mit den hochgezogenen Schultern, den um sich selbst geschlungenen Armen und dem hängenden Kopf eher traurig aussah.
W enn er in den Garten wollte, müsste er den gleichen Bus nehmen wie Michi und diese Vorstellung gefiel mir nicht.
»Hast du nicht gesehen, wie er nach dem Hund getreten hat? Lass uns noch zu mir gehen und einen Becher Kakao trinken, bevor du nach Hause fährst.«
»Ich verrate ihm schon nichts von dir.«
Wie hatte sie das erraten? Ich fürchtete tatsächlich auch, Michi in ihrer offenen Neugier könnte sich gleich zu ihm setzten und in einem Nebensatz erklären: »Ach, übrigens. Ihrem Sohn geht es gut.« Ich glotzte zwischen den Steinfliesen und meinem Vater hin und her. Michi löste sich von mir und wir folgten Papa wie die drei Fragezeichen einem Verdächtigen. Ein bisschen fühlte ich mich wie Justus Jonas, während wir ihm hinterherschlichen. Michi lachte mich aus.
»So, wie du dich benimmst, fällst du doch auf.«
»Sei still«, zischte ich. »Nachher dreht er sich um.«
Sie lachte noch lauter. Zum Glück achtete mein Vater nicht auf Geräusche.
An der Bushaltestelle Hermann-Kaufmann-Straße blieb er stehen. Das war Mist, denn mein Weg nach
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