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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Zimmer durchwühlen und in Dinge schauen, die Sie nichts angehen? Ich habe lediglich Erste Hilfe geleistet. Und dann habe ich das getan, was Kinder bei Schmerzen beruhigt. Ich habe gepustet. Mehr war da nicht.«
    Der Fotograf scheint zufrieden. Er eilt schon die Stufen herunter. Der Reporter schaut mich immer noch an, reicht mir die Hand.
    »In Ordnung. Ich war zu grob.«
    Ich fasse es nicht, schaue verächtlich auf die Hand. Versucht er es jetzt auf die sanftere Tour?
    »Allerdings.«
    Seine Hand bleibt in der Luft hängen. Am liebsten würde ich darauf spucken, seine Entschuldigung beruhigt mich nicht im Geringsten.
    »Okay«, sagt er. »Tun wir so, als würde ich noch einmal klingeln.«
    Jetzt behandelt er mich also wie einen kleinen widerspenstigen Bengel. Ich schüttle den Kopf. »Ich habe keine Zeit.«
    »Darf ich morgen wieder kommen?«
    »Von mir aus«, antworte ich trotzig, mache die Tür hinter ihm zu und atme einmal tief durch. Mit etwas Glück wird die morgige Schlagzeile lauten: »Das Wunder ist nur ein brutaler Schläger.«
    Mein Ärger über die Reporter hat etwas Gutes. Ich bin wieder in der Lage, zu denken, kann die beiden anderen Zeitungen vom Tisch im Flur mit in mein Zimmer nehmen und schauen, ob es auch darin dämliche Artikel gibt. Auf den Titelseiten sind keine. In der Morgenpost gibt es eine kleine Gegendarstellung von Martins Mutter, die nur die Wahrheit schreibt. Im Abendblatt steht nichts. Es hatte ja auch dieses blöde Foto nicht gedruckt.
    Ich kann mich wieder auf die Hausaufgaben konzentrieren, die Funktion neu berechnen und aufzeichnen, ohne einen Strich zu verziehen. Als meine Mutter kommt, habe mich wieder beruhigt.
    »Gibt es etwas Neues?«
    Ich setze mich zu ihr in den Wohnflur, wir rauchen unsere Zigarette und ich zeige ihr die Titelseite der Bildzeitung.
    »Ja, das habe ich schon gesehen «, sagt sie.
    »Warum schreiben die so einen Scheiß?« Ich erzähle ihr von den Reportern, von den Fotos, die sie hier gemacht haben, von den blöden Fragen, die sie gestellt haben.
    »Sie brauchen ihre Geschichten.« Mama raucht in Ruhe auf, drückt ihre Zigarette aus und schaut mich lange an.
    » Henrik, erinnerst du dich an die verschlossene Tür deiner Großmutter, an die Besuche, die sie manchmal bekam, an die Kräuter, die immer in der Küche standen oder an die Tinkturen, die sie daraus hergestellt hat?«
     

Von Fremden hinter verschlossenen Türen (1960 bis 1967)
     
    Manchmal erhielt meine Oma Besuch von Menschen, die ich nicht kannte. Sie ging mit ihnen in ihr Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Sonst war ihr Zimmer immer offen, auf dem Tisch vor ihrer Schlafcouch stand stets eine Dose mit selbst gebackenen Keksen. Wenn wir gemeinsam aßen oder spielten, wenn wir als Familie zusammen waren, dann in Omas Zimmer.
    Nur, wenn die fremden Leute kamen, durfte ich nicht hinein. Ich lauschte an der Tür, versuchte durch das Schlüsselloch zu sehen, was in Omas Zimmer vor sich ging und achtete dabei auf jedes Geräusch. Ab und zu musste sie noch einmal in die Küche gehen, um eine der Tinkturen zu holen, die sie aus Methanol und getrockneten Kräutern ansetzte. Dann musste ich rechtzeitig fort sein, damit sie mich nicht entdeckte. Das war jedoch selten.
    Ein paar dieser braunen Flaschen, deren Etiketten sie fein säuberlich mit der Hand schrieb, hatte sie immer in ihrem Nachtschrank.
    So sehr ich mich auch bemühte, hinter das Geheimnis der verschlossenen Tür zu kommen, es gelang mir nicht. Ich horchte, lauschte den leise murmelnden Stimmen, die durch das Schlüsselloch drangen, aber ich konnte nichts verstehen. Da die fremden Leute in dem großen Lehnstuhl saßen, der mit dem Rücken zur Tür stand, konnte ich nie mehr von ihnen sehen konnte, als einen Arm, der eventuell auf der Lehne lag.
    Wurde die Tür wieder geöffnet, und die Besucher kamen aus dem Zimmer, bedankten sie sich und steckten der Großmutter etwas zu. Auch die Großmutter bedankte sich und vergrub es in der Tasche ihrer Schürze, die sie selbst für den Besuch nie abnahm.
     

Von Rosen und Hexen (1976)
     
    »Ja.«
    »Weißt du, was diese Besucher von deiner Oma wollten?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Meistens«, erklärt meine Mutter, »hatten sie Warzen oder Gürtelrosen. Manche hatten einen Hexenschuss oder einfach Schmerzen, deren Ursache kein Arzt finden konnte.«
    »Und Oma hat sie behandelt? Sie war doch keine Ärztin.«
    Mama setzt sich in ihrem Sessel um, lehnt sich etwas seitlich an die Lehne und steckt sich

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