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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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andere doch denken, was sie wollen.
     
    Keine Ruhe, weder in meinen Gedanken noch in der Wohnung. Woher bekommen Journalisten ihre Informationen, wie können sie einfach an meinen Namen und an meine Adresse kommen? Papa hat es nie geschafft. Seit wir mit zwei Plastiktüten und einem Schulranzen aus dem Garten geflohen sind, weiß er nicht, wo wir leben. Zu viel Angst hatten wir, er stünde eines Tages vor der Wohnung, verschaffte sich Einlass und alles ginge wieder von vorne los.
    Aber irgendjemand hat uns gefunden und klingelt wie bescheuert oder als wäre ich schwerhörig, reißt mich von meinem Bett und aus meinen Gedanken. Das Blitzlichtgewitter eines Fotografen knallt mir in die Augen und blendet mich. Der Reporter stellt einen Fuß in die Tür, damit ich sie nicht wieder zuschlagen kann und fragt: »Bist du Henrik Graf?« Er wartet keine Antwort ab, drängelt sich an mir vorbei in die Wohnung und schaut sich um. Der Fotograf folgt ihm, knipst jede Zimmerpflanze, als wäre sie vom Aussterben bedroht.
    »Wie lange kannst du das schon?«, fragt der Reporter, während er sich auf eine n der Sessel setzt. Ich stehe völlig benommen im Flur, schließe kurz die Augen und kneife mich. Das muss ein Albtraum sein.
    »Wovon reden Sie?«
    »Du kannst mich duzen. – Wie lange du schon Wunder vollbringen kannst?« Er schlägt die Beine übereinander, schaut mich an als wäre ich ein Stück Fleisch, das in der Pfanne gewendet werden müsste. »Wie und wann hast du es entdeckt?« Endlich nehme ich mehr als seine Bewegungen wahr. Sein Gesicht sickert zu meinem Bewusstsein durch, die blasse Haut, die muskulöse Figur.
    »Ich habe eine Mund-zu-Mund-Beatmung durchgeführt. Das kann jeder in einem Erste-Hilfe-Kursus lernen.«
    »Nicht so bescheiden, junger Mann«, sagt der Reporter lachend. »Knochenbrüche heilt man nicht mit Mund-zu-Mund-Beatmung.« Er steht wieder auf, geht zu meinem Zimmer und schaut sich nur einmal kurz nach mir um, bevor er es betritt. »Deins?«
    Ich nicke nur, folge ihm und dem Fotografen, der immer noch wahllos alles ablichtet, was ihm vor die Linse kommt.
    »Also, wie lange kannst du es?«, fragt der Reporter erneut. »Du brauchst nicht zu leugnen. Jeder dort hat die Fraktur gesehen.« Gleich widmet er sich wieder dem Zimmer, schaut in das Mathebuch auf meinem Schreibtisch, auf die Regale, nimmt ein paar Bücher in die Hand und stellt jedes enttäuscht wieder zurück.
    Ich schweige. Wie soll ich ihm seine Frage beantworten? Der Fotograf hat das Kästchen meiner Großmutter entdeckt, schießt ein paar Bilder davon. Der Reporter folgt der Linse, nimmt das Kästchen in die Hand. »Was ist da drin?«, fragt er und ist schon an dem Verschluss zugange.
    »Stellen Sie das wieder hin!«, fordere ich ihn auf. Aber er hört nicht. Zum Glück ist er ungeschickt, hat grobe große Finger, mit denen er den Verschluss nicht zu fassen bekommt. Ich gehe drohend auf ihn zu. »Stellen Sie es wieder hin!«
    »Was ist da drin? Deine Zauberformeln?« Er grinst als w olle er sich über mich lustig machen.
    » Ich bin es nicht, der behauptet, zaubern zu können.«
    Er hat diese bekloppte Idee und er hat sie nur, weil er eine Schlagzeile daraus machen will. Die Anspannung wird größer, der Reporter lächelt überlegen und ich balle die Fäuste, zittere leicht, spüre meinen Herzschlag, Druck auf der Brust. Am liebsten würde ich ihm dieses dämliche Grinsen aus der Fresse prügeln, aber dann würde er die Kiste vielleicht fallen lassen und sie würde zerbrechen. Also lange ich nur nach dem Abschiedsgeschenk meiner Großmutter, nehme es dem Reporter aus der Hand und brülle ihn an: »Können Sie nicht hören? Ich hatte Ihnen gesagt, Sie sollen sie wieder hinstellen.«
    Ganz kurz entgleist sein Lächeln, friert ein, bevor er sich wieder fängt. »Immer mit der Ruhe. Wenn das Geheimnis deiner Kräfte darin ist, lasse ich die Kiste zufrieden. Ich weiß, dass du es nicht verraten darfst.«
    Wenn er nicht gleich verschwindet, werde ich mich nicht mehr beherrschen können. Ich packe ihn am Arm, zerre ihn aus meinem Zimmer, schubse ihn über den Flur. »Ich habe keine Kräfte«, schreie ich. »Höchstens die Kraft, Sie zu Brei zu schlagen, wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen. Also verschwinden Sie!«
    Im Treppenhaus dreht er sich noch einmal um. »Ich will dir helfen, Junge. Warum bist du so feindselig?«
    »Wie wollen Sie mir helfen? Indem Sie Lügen über mich verbreiten, mein Bild in der Öffentlichkeit breittreten, einfach mein

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