Wenn Frauen kochen
verstaut. Das war über achtzehn Jahre her. Damals war sie gerade mal zwanzig gewesen und hatte nicht geahnt, dass sie nur wenig später mit einem Koffer und sonst kaum etwas auf der Türschwelle stehen würde. In all den Jahren war Gus die einzige Nachbarin, die sie kennengelernt hatte. Das störte sie nicht. Es gefiel ihr.
Über die Vergangenheit nachzudenken, spannte sie an und machte hungrig. Hannah öffnete die unterste Schreibtischschublade und griff ohne hinzugucken hinein. Sie kannte ihre
Vorräte auswendig. Die ganze Zeit wandte sie die Augen nicht vom Nachrichtenboard der CookingChannel Website.
»Wer ist schärfer? Carmen Vega oder Gus Simpson?«, lautete eine der Überschriften. Hannah lächelte. Mit einer geschmeidigen Bewegung klappte Hannah ihr Handy auf und wählte Gus’ Nummer, während sie gleichzeitig eine Tüte Erdnuss-M&Ms aufriss. Ihre Vorliebe für Süßigkeiten hatte sich nie auf ihre Figur niedergeschlagen. Sie hatte zum Glück immer einen schnellen Stoffwechsel gehabt, auch mit sechsunddreißig noch. Und in ihrem Gästezimmer stand kein Bett, sondern ein Laufband. Es kam sowieso nie jemand zu Besuch.
»Hey Lady, scheint so, als hättest du die kulinarische Welt zum Kochen gebracht«, begrüßte Hannah Gus. »Du hast offenbar den Status eines Sexsymbols erreicht.« Während sie redete, sortierte sie mit chirurgischer Präzision die blauen M&Ms aus. Es war eine von früher übrig gebliebene Angewohnheit, als sie einige verrückte, um ihrer selbst willen geliebte Ticks hegte und pflegte. In Wahrheit fand sie mittlerweile, dass alle Farben gleich schmeckten.
»Gut, dass du anrufst. Ich bin so wütend, dass ich Alan Holt die Augen auskratzen könnte«, sagte Gus. »Hast du zu Mittag gegessen?«
»Ja.«
»Davon bin ich überzeugt. Du wirst noch mal mit Diabetes enden. Ich kann das nicht länger dulden.« Hannah blieb ganz ruhig. Ein Mal - wirklich nur ein einziges Mal - hatte Gus versucht, Hannas Haus von Süßigkeiten zu befreien. Das Ergebnis war der erste und einzige Streit, den die beiden Frauen je gehabt hatten. Am Ende hatte eine hysterische Hannah weinend auf dem Küchenboden gelegen. Gus konnte nun mal nicht anders: Immerzu musste sie die Dinge so in Ordnung bringen, wie sie es für richtig hielt.
Zum Glück fing Gus sofort an, ihr die Details des Mittagessens mit Alan mitzuteilen, angefangen von der Art und Weise, wie die Servietten gefaltet waren, bis zu dem Gespräch über Carmens Outfits bei der Show.
»Und in zwei Stunden werde ich zu einem Treffen mit Miss Spanien erwartet«, schloss sie entnervt. »Ich musste einfach da weg, also habe ich ein paar Besorgungen gemacht: Ein bisschen Zigeunersalami, geräucherten Provolone und ein Glas schwarze Puglian-Oliven. Das werde ich den Mädchen im Apartment vorbeibringen.«
»Keine gute Idee.« Hannah ließ ein M&M in den Mund gleiten und lutschte vorsichtig den Zuckerüberzug. Sie würde niemals ins Telefon schmatzen, wenn Gus dran war.
»Doch, sogar eine sehr gute. Wer würde nicht gern nach Hause kommen und einen gut gefüllten Kühlschrank vorfinden?« Gus keuchte ein bisschen, weil sie mit der Einkaufstüte in der Hand schon ein ganzes Stück gelaufen war. Außerdem hatte sie trotz des warmen Frühlingswetters eine dicke Winterjacke an.
»Gus, es ist nie gut, ungefragt in der Wohnung seiner Tochter aufzutauchen.«
»So ist es ja nun nicht«, widersprach Gus. »Außerdem würde es Sabrina nichts ausmachen.«
»Aber Aimee ganz sicher«, beharrte Hannah.
»So, ich bin da«, sagte Gus triumphierend. »Die Zeit könnte sogar noch reichen, um ihnen schnell ein paar Brownies zu backen. Wäre das nicht nett?« Hannah kannte ihre Freundin gut genug, um zu wissen, dass dies nicht als Frage gemeint war.
Es war ein wunderbarer Morgen gewesen: klar und sonnig. Zumindest sah es durchs Fenster so aus. Sabrina hatte es noch nicht aus dem Bett geschafft, abgesehen von einem diskreten
Ausflug auf die Toilette. Ihre Liebesbeziehung war noch jung genug, um so zu tun, als hätte sie weder Toiletten noch Deo nötig. Sie hatte sich die Zähne geputzt, um nicht aus dem Mund zu riechen, und die Beine rasiert. Geduscht hatte sie jedoch nicht, weil ihr Freund sonst merken würde, dass ihre zarte Bräunung außerhalb der Bikinizone nicht echt war. Ohne ihn aufzuwecken, war sie zurück ins Bett geschlüpft und hatte ihm dann ein Frühstück bereitet, das aus lauter kleinen Knabbereien bestand: an den Fingern und an den Lippen, an den Augenlidern
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