Wenn Frauen Männer buchen: Roman (German Edition)
langsam wieder erholen. Aber er hat noch Schmerzen.«
»Mit anderen Worten: Er jammert den ganzen Tag. Das muss er von seinem Vater haben. In unserer Familie kam das nicht vor, so viel steht fest. Wir waren immer hart im Nehmen. Deine Mutter, Elfriede und ich waren nicht so schnell kleinzukriegen.«
»Irgendwann ändert sich das«, sagte Samantha. »Was hältst du davon, ein bisschen kürzer zu treten?«
»Ich denke gar nicht dran«, polterte Herbert.
»Wenn ich das vorhin richtig verstanden habe, hat der Arzt gesagt, du könntest jederzeit tot umfallen, wenn du dich nicht endlich schonst.«
»Ich lasse mich nicht zum alten Eisen schmeißen, falls es das ist, worauf du hinauswillst.«
»Ich will auf gar nichts hinaus«, sagte Samantha. »Die Sache ist nur die: Wenn du tot umfällst, kommst du nicht zum alten Eisen, sondern zwei Meter unter die Erde.«
»Deinen Sinn für Offenheit habe ich schon immer geschätzt«, meinte Herbert grantig. »Er ist fast so ausgeprägt wie dein Sarkasmus.«
Dann räusperte er sich. »Wie lange bist du jetzt schon in der Firma?«
Samantha zuckte die Achseln. »Das weißt du doch. Im Oktober sind es sieben Jahre.«
»Ja«, sagte Herbert nachdenklich. »Damals hatten wir sechs Angestellte und zweihundert Quadratmeter Ausstellungsfläche. Ein kleiner lokaler Badezimmerausstatter. Und jetzt beschäftigen wir dreiundzwanzig Leute und stellen auf fast tausend Quadratmetern in zwei Filialen aus. Unsere Kunden sitzen in ganz Deutschland. Wir haben zusammen viel auf die Beine gestellt, nicht wahr?«
Samantha nickte. »Es ist ganz gut gelaufen.«
Herbert hatte es nicht direkt ausgesprochen, aber sie wussten beide, dass es die Firma in der heutigen Form nicht geben würde, wenn Samantha nicht gewesen wäre.
»Jetzt ist nur wichtig, dass du schnell wieder gesund wirst«, meinte Samantha. »Dann fährst du erst mal in Kur und lässt es dir richtig gut gehen.«
»Das wollte ich schon immer ausprobieren. Ich meine, die Sache mit den Kurschatten.«
»Soll nicht das Schlechteste sein«, stimmte Samantha zu. Tränen traten ihr in die Augen, während sie seine Hand fester hielt. Sie hing an dem alten Knaben, obwohl er ein Despot war, wie er im Buche stand. Er scheuchte alle Angestellten herum, raunzte Georg bei jeder Gelegenheit an und putzte auch Samantha hin und wieder runter. Doch alle Welt wusste, dass unter seiner harten Schale ein butterweicher Kern steckte. Die Leute, die bei Bruckner-Bad arbeiteten, legten für ihren Chef die Hand ins Feuer. Für Samantha galt dasselbe. Ihn hier so elend und krank liegen zu sehen, schnitt ihr ins Herz. Er tat immer so, als wäre er unverwüstlich, aber im grellen Licht der Intensivstation war seine Hinfälligkeit nicht zu übersehen. Sein Gesicht war wachsbleich, und unter der dünnen Haut traten die blauen Venen wie dicke Stricke hervor.
Samantha konnte sich Bruckner-Bad ohne Onkel Herbert nicht vorstellen. Ursprünglich war der Job, den sie nach dem BWL-Studium dort angenommen hatte, nur eine Art Verlegenheitslösung gewesen. Eigentlich hatte sie eine Stelle in einer Fabrik antreten sollen, die Betonfertigteile herstellte. Den Arbeitsvertrag hatte sie bereits in der Tasche gehabt – zu Konditionen, die sich für ein Anfängergehalt sehen lassen konnten. Dann hatte der Betrieb eine Woche, bevor sie anfangen sollte, Konkursangemeldet. Ungefähr um dieselbe Zeit hatte Herbert den ersten Herzinfarkt gehabt. Er hatte Samantha gebeten, für ein paar Wochen in der Firma einzuspringen. Samantha hatte sich mit Feuereifer in die Arbeit gestürzt und alles gelernt, was es über Badezimmer zu wissen gab. Aus den geplanten paar Wochen waren zuerst Monate geworden und dann Jahre. Inzwischen war die Firma Samanthas zweites Zuhause.
»Der Arzt hat Recht«, riss Herbert sie aus ihren Gedanken. »Ich werde aufhören.«
Samantha wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte ihren Onkel noch nie so ernst erlebt. Er erwiderte ihren Blick.
»Das bedeutet, ich muss einen Nachfolger in der Firma bestimmen.«
Samantha schwieg abwartend. Es galt von jeher als ausgemachte Sache, dass Georg die Firma übernehmen würde. Es gab immer wieder Unterhaltungen zwischen ihm und Samantha, die mit den ominösen Worten begannen: Wenn Onkel Herbert erst im Ruhestand ist …
Natürlich hatte Samantha sich über diesen Punkt schon oft genug den Kopf zerbrochen. Es war kein Geheimnis, dass sie mit Georg nicht sonderlich gut klarkam. Er hatte ihre Arbeit in der Firma von Anfang an
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