Wenn Frauen Männer buchen: Roman (German Edition)
sogar richtig gemütlich. Vielleicht lag es auch daran, dass sie mittlerweile wieder öfter rauskam als zu Anfang, als sie nur untätig auf ihrem neuen schmalen Bett herumgelegen und sich selbst Leid getan hatte. Irgendwann hatte sie es satt gehabt, nur Schokolade zu essen und sich die Videos mit Ben Affleck und William Baldwin zum dreißigsten Mal anzusehen. Sie hatte kurzfristig auf ein Inserat hin einen Job in einer Schreinerei angenommen, wo sie halbtags die Buchhaltung und alle anderen anfallenden Büroarbeiten erledigte. Ihre Vorgängerin befand sich im Mutterschutz und war für mindestens ein Jahr beurlaubt.
Die Arbeit war sowohl von den Anforderungen als auchvon der Bezahlung her Äonen von dem Managerposten entfernt, den Samantha bei Bruckner-Bad innegehabt hatte, doch die Kollegen waren nett, und Samantha mochte den Geruch von frisch gesägtem Holz, der immer dort in der Luft lag. Die Handwerker hatten immer ein paar Witzchen auf Lager, und ihr Chef, Alexander Damaschke, war ein gutmütiger, bodenständiger Mensch, der heilfroh war, dass ihm jemand die verflixte Arbeit am Computer abnahm. Kurzum – Samantha mochte ihren neuen Job. Er bedeutete keine große Herausforderung, aber es ließ sich dort angenehm arbeiten.
Auch andere Dinge hatten sich in ihrem Leben verändert. Sie hatte ihren Wagen abgeschafft und ihn gegen ein kleineres Modell eingetauscht. Seitdem waren ihre Tankrechnungen nur noch halb so hoch, und bei der Versicherung ließ sich ebenfalls die Hälfte sparen.
Samantha kaufte sich immer noch regelmäßig neue Klamotten, aber sie hatte entdeckt, dass man sich bei H&M fast genauso vortrefflich einkleiden konnte wie in einer Designerboutique. Außerdem legte sie keinen besonderen Wert darauf, an ihrem neuen Arbeitsplatz im Armani-Kostüm aufzulaufen.
Die wohl augenfälligste Veränderung hatte sie an ihrem Äußeren vorgenommen: Eine Woche, nachdem sie bei Hans ausgezogen war, hatte sie sich die Haare schneiden lassen. Sie hatte seit ihrem sechsten Lebensjahr eine hüftlange Wallemähne getragen und fand, dass es höchste Zeit war, sich einen neuen Look zuzulegen. Sie hatte es ganz einfach radikal kurz schneiden lassen. Ihre Mutter war nur einen Atemzug von einer Ohnmacht entfernt gewesen, und ihr Bruder hatte behauptet, jetzt sähe sie aus wie jemand, auf den er stehen könnte, wenn sie nicht zufällig seine Schwester wäre.
Inzwischen war das Haar wieder etwas nachgewachsen und kringelte sich in kurzen Locken um ihr Gesicht. Samantha empfand es als Wohltat, nach dem Waschen nur kurz mit der Bürste durchfahren zu müssen, für eine Minute den Föhn draufzuhalten und dann der Natur ihren Lauf zu lassen. Es wellte sich von allein und brauchte keine großartige Pflege, weder Haarspitzenkuren gegen Spliss noch Spezialpackungen für bessere Kämmbarkeit.
Und um den Hals herum fühlte sie sich wunderbar leicht und frei. Es war ein angenehmes Gefühl, nicht immer den schweren Zopf im Nacken zu fühlen, vor allem beim Joggen.
Von dort kam sie eines Nachmittags Ende Oktober, als sie jemand vor ihrer Wohnungstür stehen sah, den sie schon lange nicht mehr gesehen hatte.
»Onkel Herbert!«, sagte sie verblüfft. »Wo kommst du denn her?«
»Von der Arbeit, woher sonst?« Er war immer noch blass und schmal, sah aber wesentlich besser aus als noch vor ein paar Monaten. Anscheinend war die Operation ihm gut bekommen.
»Komm rein. Aber schau nicht so genau hin, ich habe nicht aufgeräumt.«
Herbert folgte ihr in die Wohnung und starrte sie an. »Du hast ja die Haare ab! Wie ist das denn passiert?«
Samantha lachte. Sie schnappte sich ein Handtuch und rieb sich den verschwitzten Nacken trocken. »Ich war beim Friseur.«
»Warum das denn?«
»Manchmal muss man alte Zöpfe abschneiden«, sagte Samantha einfach.
»Du siehst aus wie ein Schulmädel. Aber es gefällt mir.« Er nahm sie in die Arme und drückte sie kurz an sich.»Meine Güte, bist du dünn geworden, Kind! Isst du nichts mehr?«
Samantha nahm ihm die Jacke ab und hängte sie an die Garderobe. »Ich bin nicht dünn, sondern schlank. Ich esse genauso viel wie vorher, nur mit der Schokolade nehme ich mich in Acht. Außerdem gehe ich fast jeden Tag joggen.«
Herbert verzog das Gesicht. »Hätte ich vielleicht in deinem Alter auch mit anfangen sollen. Dann wär’s sicher noch für eine Weile ohne die Bypässe gegangen.«
Er räusperte sich. »Ich war in Kur. In der Firma bin ich erst seit einer Woche wieder. Und ich wünschte, ich wäre
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